Anlässlich eines „Tages der Begegnung“ machen Betroffene in Linz auf die schwierige Situation in der Behindertenhilfe aufmerksam
Die Erstellung des „Nationalen Aktionsplanes Behinderung 2012-2020“ (NAP) gilt als wichtiger Leitfaden zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und insbesondere für die Ausrichtung der Behindertenpolitik in den kommenden Jahren. Die Grundideen sind bedeutsam, die konkrete Durchführung bei der aktuellen finanziellen Lage der Regierung schwierig. Auch assista sieht sich im Alltag mit diesen Kontroversen konfrontiert.
Zwischen Ausgrenzung und Teilhabe
Menschen mit Behinderung soll eine uneingeschränkte Teilhabe an allen Aktivitäten der Gesellschaft zu Teil werden. Österreich hat diesbezüglich 2008 die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ratifiziert und als Konsequenz den Nationalen Aktionsplan beschlossen. Ziel ist es, Menschen mit Beeinträchtigung eine gleichberechtigte Teilhabe am politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben zu ermöglichen.
Zudem will man Chancengleichheit in der Bildung und in der Arbeitswelt schaffen und allen BürgerInnen die Möglichkeit auf einen selbstbestimmten Platz in einer barrierefreien Gesellschaft bieten. Die Intention dieses Leitgedankens ist gut, die konkrete Umsetzung verläuft sehr schleppend. Übergangsfristen werden immer wieder verlängert, die knappen finanziellen Ressourcen für die Behindertenpolitik sind ein großer Hindernisfaktor.
„Unverständlich ist, dass der Rechtsanspruch von finanziellen Mitteln abhängig gemacht wird“, kritisiert Alexander Pagl, Vorstand der Interessensvertretung behinderter Menschen bei assista. Der Zugang zu öffentlichen Mitteln wird immer schwieriger und Menschen mit Beeinträchtigung bekommen diese Tatsache leider besonders hart zu spüren. Aufgrund ihrer Beeinträchtigung und den damit verbundenen hohen Ausgaben sind aber gerade diese Menschen oftmals von finanziellen Zuschüssen abhängig.
Inklusion ins Bewusstsein – Barrieren überwinden!
Menschen mit Behinderung sind oftmals mit sozialer Ausgrenzung, Vorurteilen und fehlender Rechtssicherheit konfrontiert. Ziel der österreichischen Behindertenpolitik sollte es daher sein, Bildung und Selbstbestimmung von Menschen mit Beeinträchtigung zu fördern. Denn Bildung ist die Voraussetzung für die Fähigkeit des Menschen, sich für seine eigenen Rechte einzusetzen und selbst über sein Leben zu entscheiden.
Betroffene sollen sich zudem bewusst für ihre bevorzugte Wohnform entscheiden können – ob sie in der Gruppe wohnen oder das Leben lieber selbst in die Hand nehmen möchten. Auch die Mitbestimmung, wo sie leben, muss ermöglicht werden. Ebenso muss die Chancengleichheit am Arbeitsmarkt für beeinträchtigte Menschen verbessert werden. Im Fokus steht die Integration von Betroffenen in den regulären Arbeitsmarkt – denn auch sie wollen ihre Fähigkeiten sinnvoll einsetzen und dafür angemessen entlohnt werden.
Hinsichtlich einer uneingeschränkten Teilhabe an der Gesellschaft ist auch die schnellere Umsetzung von Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr, aber auch bei Zugängen zu Gebäuden und Einrichtungen ein wichtiger Meilenstein.
„Menschen mit Beeinträchtigung wollen selbstständig sein, ihr Leben bestimmen und auch Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen“, erklärt Alexander Pagl. In diesem Sinne sollen Betroffene durch Unterstützungsleistungen befähigt werden, möglichst selbstbestimmt zu leben und neue Perspektiven zu entwickeln. Seitens der Politik braucht es dafür die Bereitschaft, ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, um eine entsprechende Begleitung und Unterstützung von Menschen mit Beeinträchtigung zu gewährleisten.
„Immer wieder ist der Spagat zwischen Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit einerseits und der sozialen und menschlichen Lebens-, Unterstützungs- und Betreuungsqualität andererseits zu leisten, um Teilhabe zu ermöglichen“, definiert DI Emil Gasteiger, Obmann des assista-Vereins „Lebenswertes Leben“.
Kostenfalle Behinderung: Es kann jede/n treffen!
Die neuen Ansätze und Forderungen zur Inklusion behinderter Menschen ziehen durchaus vielfältige Investitions- und Personalkosten nach sich. Es ist Fakt, dass Bedarf und Angebot in Oberösterreichs Behindertenhilfe weit auseinanderklaffen – allein in Oberösterreich fehlen rund 4.130 Wohnplätze und 1.750 Beschäftigungsplätze für Menschen mit Behinderung.
Bei der Frühförderung sieht es mit 81 Prozent Bedarfsdeckung am besten aus, bei der Persönlichen Assistenz mit 38 Prozent am schlechtesten. Viele behinderte Menschen müssen teilweise jahrelang auf eine adäquate Betreuung warten. Bedingt durch die wiederholte Aufschiebung der Maßnahmen in der Behindertenpolitik entsteht ein regelrechter „Stau“ beim (Betreuungs-) Bedarf.
Doch wie kann diesem Engpass effektiv entgegengewirkt werden? Den Mehrbedarf für den Vollausbau der Behindertenhilfe beziffert Soziallandesrätin Mag.a Gertraud Jahn auf etwa 200 Millionen Euro im Jahr. Woher diese monetären Mittel fließen sollen ist genauso unzureichend geklärt wie die Frage, wie mit der immer weiter steigenden Nachfrage nach Betreuungsplätzen umgegangen werden soll.
Stolpersteine für die UN-Konvention
Die Inklusionszielsetzungen sind wichtige Wegweiser hin zu einer verbesserten Lebensqualität und mehr gesellschaftlicher Partizipation von Menschen mit Beeinträchtigung. Durch die Unterzeichnung der UN-Konvention hat Österreich den Willen gezeigt, die darin angeführten Rechte für Menschen mit Behinderung zu garantieren und deren Umsetzung durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen. „Das sind anspruchsvolle Anforderungen und Richtlinien, aber sie sind machbar. Jetzt müssen sich erst einmal alle aktiv einbringen“, wünscht sich assista-Geschäftsführerin Gabriele Huber.
Inklusion muss ins Bewusstsein der Gesellschaft gebracht werden, darf letztlich aber keinesfalls in der praktischen Umsetzung – im Verfügbarmachen der nötigen Mittel, Maßnahmen und Einrichtungen – scheitern. Emil Gasteiger betont: „Es gilt, die UNKonvention in die Kriterien der Wirkungsorientierung einfließen zu lassen, ‘Messlatten‘ zu entwickeln, die sich nicht nur an der Wirtschaftlichkeit, sondern an der Qualität der Umsetzung der UN-Konvention orientieren und eine gleichberechtigte und barrierefreie Teilhabe an unserer Gesellschaft ermöglichen.“
Denn auf Kosten von beeinträchtigten Menschen darf der Staat kein scheinbares Voranbringen der Behindertenpolitik darstellen, nur um im Gegenzug massive Sparmaßnahmen in diesem Bereich umzusetzen.
Quelle: assista Soziale Dienste GmbH
AutorIn: assista Soziale Dienste GmbH
Zuletzt aktualisiert am: 16.06.2017
Artikel-Kategorie(n): Behindertenpolitik, News
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