Überraschend schnell wurde der SWÖ-KV 2023 abgeschlossen. Dass die Einigung alles andere als optimal verlief, denken viele Beschäftigte im Sozialbereich. Behindertenarbeit.at hat mit der Betriebsratsvorsitzenden Selma Schacht darüber gesprochen.
Bis spät in die Nacht wurde in der dritten Verhandlungsrunde am 16.11.2022 zum KV 2023 der Sozialwirtschaft Österreich diskutiert, bis es letztlich einen Abschluss gab. Ein Abschluss, der den 130.000 Beschäftigten in der Sozialwirtschaft ein Plus von durchschnittlich 8,23% und eine Mindesterhöhung von 175 Euro bringt. Dass dieses Ergebnis enttäuschend ist, macht bereits der Blick auf die Gewerkschaftsforderung von 15% Gehaltsplus deutlich – ein Ziel, das wie einige andere Ziele klar verfehlt wurde.
„Wir haben es durch die Mobilisierung in den Betrieben geschafft, eine breite Öffentlichkeit herzustellen, und Druck aufzubauen. Es ist ein Armutszeugnis, dass diese Aktivitäten nicht ausgeweitet, dass die Streikbeschlüsse tausender KollegInnen übergangen wurden und so die große Chance auf einen viel besseren Abschluss vertan wurde“, zeigt sich auch Selma Schacht, Betriebsratsvorsitzende, KOMintern-AK-Rätin und Mitglied des großen KV-Verhandlungsteams enttäuscht.
KV-Abschluss nur minimal über dem Angebot der Arbeitgeber:innen
Ausgegangen waren die Verhandlungen von einer Gewerkschaftsforderung von 15% bzw. von mindestens 350 Euro/Monat. Demgegenüber stand das Angebot der Arbeitgeber:innen von 7,5% und ein Mindestbeitrag von 150 Euro. Das Ergebnis von durchschnittlich 8,23% liegt also nur knapp über dem Arbeitgeber:innen-Angebot und bringt angesichts der aktuellen Inflation, die mittlerweile bei 11% liegt, nicht wirklich mehr Gehalt.
Das Gehaltsplus der Mehrheit der Arbeitnehmer:innen liegt bei gerade mal 8%. Die in vielen Medien groß publizierten 10,2% Lohnerhöhung betreffen eine geringe Zahl an Beschäftigten, nämlich nur die untersten Verwendungsgruppen ohne Arbeitserfahrung. Als kleiner Erfolg kann immerhin der Mindestbeitrag gewertet werden, von dem etwa ein Drittel der Arbeitnehmer:innen profitiert. Die ÖGB-Forderung eines Mindestlohns von 2000 Euro brutto für Vollzeitbeschäftigte, wurde mit dem Mindestbeitrag dennoch nicht erreicht, erklärt Schacht.
Nervosität und Falschinformationen führten zu voreiligem Abschluss
Die Forderungen der Gewerkschaften schienen auf den ersten Blick hoch, waren jedoch angesichts der ohnehin viel zu niedrigen Löhne in der Sozialwirtschaft sowie der bereits entstandenen Defizite im Jahr 2022, beispielsweise durch das quasi Selbstbezahlen der Arbeitszeitverkürzung für Vollzeitbeschäftigte, völlig angebracht und realistisch.
Wieso wurde dennoch eine so rasche Einigung beim KV-Abschluss erzielt? Die Verhandlungen waren früh gestartet und hätten noch bis Jänner andauern können. Nach Insider-Informationen lag heuer besonders viel Druck auf dem Verhandlungsteam, wodurch Kampfbereitschaft anscheinend Nervosität weichte und so ein sehr früher Abschluss möglich wurde.
So wurde lt. Selma Schacht von einigen Verhandlungsteilnehmer:innen beispielsweise auf den Abschluss gedrängt aus Angst, bereits verhandelte Zusagen könnten durch Hinauszögern wieder zurückgenommen werden, wenn beispielsweise eine andere Branche niedriger abschneidet. Darüber hinaus entstand das Gerücht, dass die Verhandlungen bei Abbruch wieder völlig neu gestartet werden müssten, was sich letztlich als falsch herausstellte.
Metaller-KV als Maßstab, Pflegepaket als Dämpfer für Verhandlungen
Weiters schien eine Zusage, die über dem Abschluss des Metaller-KV liegt, für viele bereits wie ein Erfolg, obgleich letztere Gruppe in vielerlei Hinsicht bessere Konditionen hat und diese Sichtweise somit verblendet erscheint. Beim Betrachten der Details lässt sich der Metaller-KV nur sehr bedingt mit dem SWÖ-KV vergleichen zumal bei den Metallern die tatsächlich bezahlten Gehälter oft schon von vornherein über den KV-Gehältern liegen. In der Sozialbranche wird hingegen in der Regel nur das KV-Gehalt bezahlt.
„Nicht zuletzt dürfte auch das heuer beschlossene Pflegepaket eine Rolle bei den Verhandlungen gespielt haben.“, meint Selma Schacht. So zeigten sich Gewerkschaftsmitglieder aus dem Pflegebereich, welche einen beträchtlichen Teil des Verhandlungsteams ausmachen, bereits mit geringen Zusagen zufrieden und allgemein wenig kämpferisch. Schließlich hatten diese bereits einige Verbesserungen erhalten – was jedoch in anderen Branchen völlig ausblieb.
„Immerhin 13 Mitglieder des 44-köpfigen Gewerkschaftsteams, welches beim Abschluss zuletzt anwesend war, votierten gegen den Beschluss“ , stellt Selma Schacht fest, „diese wurden jedoch von der Mehrzahl überstimmt.“
„Nach den Verhandlungen ist vor den Verhandlungen“
Die Stimmen der Enttäuschung mehren sich. Immer mehr Gewerkschaftsmitglieder zeigen sich überzeugt, dass „mehr drinnen“ gewesen wäre und mit dem Abschluss eine wichtige Chance vertan wurde. Auch im Hinblick auf die Verantwortung des SWÖ-KV als Leit-KV, an dem sich schließlich auch andere Branchen orientieren.
Für das kommende Jahr ist die Entscheidung nun gefallen. Es bleibt also nur zu hoffen, dass daraus gezogene Lehren in die nächsten Verhandlungen mitgenommen werden. Und die Forderungen der SWÖ-Beschäftigen dann nicht nur gehört, sondern auch mit mehr Engagement und Konfliktbereitschaft verteidigt werden, wünscht sich Schacht.
Quellen:
Infos zum SWÖ-KV
http://www.sozialwirtschaft-oesterreich.at/
KOMintern | 18.11.2022
Wut und Enttäuschung beim SWÖ-KV: Eine vertane Chance auf mehr!
https://www.komintern.at/wut-und-enttaeuschung-beim-swoe-kv-eine-vertane-chance-auf-mehr/
AutorIn: Redaktion
Zuletzt aktualisiert am: 30.11.2022
Artikel-Kategorie(n): Arbeitsbedingungen, News
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