Ende April wurde die neue Pflegelehre – aller Kritik zum Trotz – vom Ministerrat beschlossen. Von einem „Meilenstein gegen den Pflegekräftemangel“ spricht die Regierung. Vor Überforderung, unattraktiver Praxis und überlanger Ausbildungszeit warnen hingegen Verbände und Gewerkschaft.
Viel kritisiert, nun fixiert: Ab Herbst startet die sogenannte „Pflegelehre“ als weitere Maßnahme gegen den hohen Personalmangel im Pflegebereich. Die neue Ausbildungsform richtet sich an Jugendliche ab 15 Jahren und dauert drei Jahre bzw. vier Jahre, je nachdem ob man als Pflegeassistenz oder Pflegefachassistenz abschließen möchte. Im ersten Schritt wird die Lehre als Modellversuch in Niederösterreich, Oberösterreich und Vorarlberg angeboten. Eine Ausweitung auf alle Bundesländer ist geplant, nach spätestens sieben Jahren soll evaluiert werden.
Mindestalter von 17 Jahren für Pflegepraxis als Problem
Bereits in der Begutachtungsphase wiesen Berufsvertretungen und Expert:innen auf eine mögliche Überforderung der Jugendlichen hin. Ein Problem ergibt sich aus dem Mindestalter für pflegerische Tätigkeiten: Die Arbeit mit Menschen ist rechtlich nämlich erst ab dem vollendeten 17. Lebensjahr möglich. Somit können in den ersten Ausbildungsjahren nur Hilfstätigkeiten ohne Patient:innenkontakt verrichtet werden. Entsprechend wenig Zeit bleibt für das Lernen am Menschen, was für die Ausbildung jedoch essenziell wäre. Dies „fördert keineswegs die Attraktivität des Pflegeberufs. Eine hohe Drop-Out-Quote ist prognostizierbar“, so der ÖGKV (Österreichische Gesundheits- und Krankenpflegeverband). Auch Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl sieht hier „die Gefahr, dass Jugendliche überfordert und als billige Hilfskräfte eingesetzt werden“.
Zusätzliche Überlastung für bestehendes Personal
Mit einem Praxisanteil von 80% wird ein Großteil der Pflegelehre in Pflegeeinrichtungen wie Krankenhäusern und Pflegeheimen stattfinden. Es ist zu befürchten, dass die hohe Präsenz der Lehrlinge einen zusätzlichen Stressfaktor für das ohnehin schon überforderte Pflegepersonal mit sich bringt, so die Gesundheitsgewerkschaft. Vor allem wurden die Ausbildungszeiten in der Pflegelehre verdoppelt: Während die Ausbildung zur Pflegefachassistenz normalerweise zwei Jahre dauert, ist diese in der Pflegelehre auf vier Jahre ausgelegt. Bei der Pflegeassistenz sind es drei Jahre statt einem Jahr.
Auch die NEOS warnen: Die Kritik der Fachleute muss ernst genommen werden, die Einführung der Pflegelehre ist „der völlig falsche Weg“. Vielmehr müsse der Pflegebereich allgemein aufgewertet werden.
Neue Ausbildungswege als Lösung für den Pflegenotstand?
Die beiden zuständigen Minister, Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) und Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP), halten die Bedenken jedenfalls für unbegründet. Immer wieder wird auf den massiven Pflegenotstand verwiesen. Laut des Forschungsinstituts Gesund Österreich braucht es bis 2030 schließlich mehr als 75.000 zusätzliche Pflegekräfte.
Der Pflegekräftemangel liege jedoch nicht an fehlenden oder falschen Ausbildungen, sondern an Versäumnissen der Politik so der ÖGKV. Ärzte-, Arbeiterkammer und Politik hatten zuletzt immer wieder die Akademisierung der Pflege kritisiert. Um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden, sei eine akademische Grundausbildung in den Gesundheitsberufen jedoch unumgänglich, so Wolfgang Kuttner, Landesvorsitzender ÖGKV Oberösterreich. Man müsse die neuen Ausbildungen im System ankommen lassen, der Anschluss eines Bachelorstudiums ist bei bestehenden Ausbildungen immerhin gegeben. Eine weitere Fragmentierung des Ausbildungsangebots sei jedenfalls kein nachhaltiger Lösungsansatz, sondern schaffe eher Unsicherheit, so der ÖGKV.
Quellen:
news.orf.at | 28.03.2023
Sorge vor Überforderung von Jugendlichen
https://orf.at/stories/3310493
ÖGKV via OTS.at | 22.03.2023
Mythos Pflegeausbildung
https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20230322_OTS0078
Wiener Zeitung | 26.042023
Neue Pflegelehre als Ausbildungsversuch
https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/oesterreich/2186543-Neue-Pflegelehre-wird-als-Ausbildungsversuch-getestet.html
sozialministerium.at
Ausbildung in der Pflege
https://www.sozialministerium.at/Themen/Pflege/Pflegereform/Ausbildung-in-der-Pflege.html
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AutorIn: Redaktion
Zuletzt aktualisiert am: 01.05.2023
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