Am 17.10.2024 fand die Fachkonferenz „Gesundheit ohne Barrieren – Inklusive, chancengleiche Versorgung für alle“ im ÖGB Veranstaltungszentrum Catamaran statt. Organisiert vom Österreichischen Behindertenrat bot die Konferenz einen spannenden Mix aus Vorträgen, Diskussionen und Gesprächen in Kleingruppen. Behindertenarbeit.at war vor Ort dabei.
Alle Menschen haben, unabhängig von ihrer Lebenssituation, das Recht auf eine umfangreiche, ganzheitliche und niederschwellige Gesundheitsversorgung. Dennoch stoßen Menschen mit Behinderungen im aktuellen Gesundheitssystem häufig auf Barrieren und erleben Diskrimierungserfahrungen. Warum ist es so schwierig, das Gesundheitssystem zu verändern? Was bedeutet Gesundheit für Menschen mit Behinderungen und wer definiert das? Welche Möglichkeiten haben Interessensvertretungen, den Zugang zur Gesundheitsversorgung barrierefrei mitzugestalten? Fragen, die Moderatorin Miriam Labus zu Beginn der Veranstaltung in den Raum stellte und im Laufe des Tages aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet wurden.
Eine barrierefreie Veranstaltung mit Vorbildwirkung
Den Auftakt machte Doris Schmidauer, die Gattin des Bundespräsidenten. In ihrer Rede betonte sie die Bedeutung von Inklusion als Schlüssel für ein gleichberechtigtes Miteinander. Darüber hinaus hob sie die vorbildlich umgesetzte Barrierefreiheit auf der Fachkonferenz hervor. Barrierefreiheit bedeute eben mehr als nur eine Rampe aufzustellen, so Schmidauer. Alle Vorträge und Diskussionen wurden in Gebärdendolmetsch und Schriftdolmetsch angeboten. Nach jedem Programmpunkt folgte eine kurze Zusammenfassung in Einfacher Sprache. Besucher:innen vor Ort standen außerdem Assistenzleistungen sowie eine induktive Höranlage zur Verfügung. Für weniger mobile Personen gab es die Möglichkeit, die gesamte Konferenz per Livestream online mitzuverfolgen. “Da können wir alle etwas lernen und mitnehmen an jene Orte, die vielleicht noch nicht ganz so barrierefrei sind.”, so Schmidauer abschließend.

Doris Schmidauer auf der Fachkonferenz | Foto: Bauer / Behindertenarbeit.at
Es folgten Videobotschaften von Katrin Langensiepen, Mitglied des Europaparlaments, und Gesundheitsminister Johannes Rauch. Weitere Begrüßungsworte kamen von von Jan Pazourek vom Dachverband der Sozialversicherungsträger, Korinna Schumann als Vertreterin des ÖGB und vom Präsidenten des Österreichischen Behindertenrats Klaus Widl.
Menschen mit Behinderungen sind von Krankheiten schwerer belastet
Im Rahmen einer mitreißenden und teils berührenden Keynote gab Johannes Fellinger Einblicke in seine Erfahrungen als Arzt. Geprägt von seinem tauben Vater setzte er sich schon früh mit Gehörlosigkeit auseinander und ist heute Leiter des Instituts für Sinnes- und Sprachneurologie der Barmherzigen Brüder in Linz
Die Gesundheitsversorgung in Österreich sei nicht per se schlecht, so Fellinger. Aber gerade für Menschen mit Behinderungen, die – bildlich gesprochen – einen größeren Rucksack tragen müssen als Menschen ohne Behinderung, gäbe es nur eine kleinere Tür zu medizinischer Versorgung. Der Rucksack steht in diesem Zusammenhang für die Krankheitslast, die bei Menschen mit Behinderungen deutlich höher ist. Eine erschreckende Folge: Menschen mit Behinderungen haben eine um etwa 20 Jahre geringere Lebenserwartung und sterben nicht selten an Krankenheiten, die man hätte vermeiden können.

Johannes Fellinger auf der Fachkonferenz | Foto: Bauer / Behindertenarbeit.at
Zugang zu medizinischer Versorgung muss verbessert werden
Für eine inklusive Medizin brauche es einen barrierefreien Zugang, aber auch eine Spezialisierung, ist Fellinger überzeugt. “Deutschland ist einen großen Schritt vorraus.” Hier gibt es mittlerweile nicht nur 150 sozialpädiatrische Zentren, sondern auch 50 Zentren für Erwachsene mit Behinderungen (MZEB), die auch gesetzlich definiert wurden.
Dass die medizinische Versorgung von Menschen mit Behinderungen derzeit nur mangelhaft vorhanden ist, bekräftigte auch Behindertenanwältin Christine Steger in der späteren Panel-Diskussion. Insbesondere in ländlichen Gegenden seien viele Menschen mit monatelangen Wartezeiten konfrontiert – eine Zumutung, die dringenden Handlungsbedarf erfordert.
Zusammenarbeit mit Erfahrungsexpert:innen aus der Zielgruppe nötig
Aber nicht nur der Zugang, auch die Qualität der medizinischen Versorgung müsse verbessert werden. “Es geht immer darum, dass man Leute, über die geredet wird, als Vertreter:innen mit dabei hat.” Dann sei nicht nur der Ton anders, sondern man profitiere auch von dem Wissen, das diese Personen mitbringen, so Fellinger. Menschen mit Behinderungen und Angehörige seien wertvolle Erfahrtungsexpert:innen, die fester Bestandteil jedes medizinischen Teams sein sollten.
Als wesentliches Problem wurde mehrfach genannt, dass in der medizinischen Ausbildung die Arbeit mit Menschen mit Behinderungen kaum thematisiert wird. Viele Ärzt:innen wissen wenig über diese Zielgruppe. “Es ist wichtig, eine Sensibilität zu entwickeln, damit man auf Augenhöhe miteinander arbeiten kann. Dazu muss es im Studium in der Theorie und Praxis vorhanden sein”, spricht Mireille Ngosse, Ärztin und Aktivistin.
“Nicht die Diagnose, sondern den Mensch sehen”
Ableismus – die Benachteiligung von Menschen aufgrund ihrer Behinderung – ist im aktuellen Gesundheitssystem nach wie vor oft an der Tagsordnung. Die derzeitigen Entwicklungen, wie beispielsweise die zunehmende Privatisierung von medizinischer Versorgung, verstärken diesen Effekt noch weiter.
In den Panel-Diskussionen wird immer wieder betont, dass ein Bewusstsein dafür fehle, dass Menschen mit Behinderungen die Expert:innen ihrer selbst sind. Viel zu häufig steht die Behinderung, nicht der Mensch im Vordergrund. Basierend auf gängigen Stereotypen wird Patient:innen mit Behinderungen wenig zugemutet, Fähigkeiten werden abgesprochen. “Als Patient macht das einfach was mit dem einem, weil man sich dann wirklich nicht mehr so fähig fühlt. Und das Schlimmste ist, dass man dann das Vertrauen in sich selbst verliert”, weiss Oana-Mihaela Iusco aus eigener Erfahrung.

Ausstellung zur Fachkonferenz | Foto: Bauer / Behindertenarbeit.at
“Wir sind nicht am Ziel, aber wir sind unterwegs”
In den vergangenen Jahren wurde hinsichlich der Rechte von Menschen mit Behinderungen viel erreicht, aber der Weg zu einer inklusiven Gesellschaft ist noch weit. Kurz gesagt: “Wir sind am Weg, aber noch nicht am Ziel”, waren sich die Teilnehmer:innen am Podium einig.
Christine Steger, Behindertenanwältin, betonte die Notwendigkeit einer stärkeren Vernetzung der Interessensvertretungen. Nur durch ein gemeinsames Auftreten und die Zusammenarbeit mit Verbündeten wie dem Monitoringausschuss, dem Behindertenrat, dem ÖZIV usw. können notwendige Veränderungen im Gesundheitssystem vorangetrieben werden.
Team Behindertenarbeit.at bedankt sich für gelungene Veranstaltung und freut sich schon auf die Fachkonferenz im nächsten Jahr.
Weitere Infos
Die gesamte Fachkonferenz als Video
https://www.youtube.com/watch?v=zscImGy0Ofc
Informationen & Programm zur Fachkonferenz
https://www.behindertenrat.at/aktuelles/fachkonferenz-2024-gesundheit-ohne-barrieren/
AutorIn: Alice Bauer
Zuletzt aktualisiert am: 28.10.2024
Artikel-Kategorie(n): Gleichstellung und Antidiskriminierung, News
Permalink: [Kurzlink]