Mitte September 2024 startete das sozialpädagogische Segelprojekt mirno more zur 30. Jubiläumsfahrt. Mit dabei war auch der Verein MPS Austria, der seit 2016 regelmäßig an der Flottenfahrt teilnimmt. Behindertenarbeit.at hat mit Voreinsvorständin und Betreuerin Anna Messenböck über Erfahrungen und Erlebnisse gesprochen.
Seit 30 Jahren segelt die friedensflotte mirno more in die kroatische Adria, um sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen eine unvergessliche Segelwoche zu ermöglichen – Behindertenarbeit.at hat dazu einen Artikel verfasst. Die diesjährige Flottenfahrt fand von 14. bis 21. September 2024 statt, viele beeindruckende Fotos und Videos wurden über Social Media geteilt, die Begeisterung der Teilnehmer:innen war deutlich zu sehen. Doch wie gestaltet sich die Segelwoche aus Sicht der Betreuer:innen? Welche Herausforderungen und Möglichkeiten ergeben sich mit Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen?
Wir haben Anna Messenböck vom Verein MPS Austria zu ihren persönlichen Erfahrungen befragt. MPS – kurz für MukoPolySaccharidosen – sind angeborene Stoffwechselkrankheiten, welche zu körperlichen und geistigen Behinderungen führen. Der Verein MPS Austria versteht sich als Selbsthilfegruppe für betroffene Familien und ist seit 2016 mit einem eigenen Schiff Teil der mirno more Flotte.
„Wir wollen so viele Kinder wie möglich dabei haben“
Angefangen hat alles im Jahr 2009, als drei gesunden Geschwister von MPS-Kindern an einer Flottenfahrt teilnahmen. Die Begeisterung war so groß, dass Anna Messenböck im Jahr darauf selbst mitsegelte, seit 2011 ist sie Teil des mirno more Organisationsteams.
Im Jahr 2016 stach schließlich das erste eigene Schiff von MPS Austria in See. Am Boot waren Anna Messenböck und 8 Kinder, Kinder mit Behinderungen und Geschwisterkinder ohne Behinderungen. „MPS betrifft immer die ganze Familie“, weiß Messenböck, auch aus eigener Erfahrung. Daher ist dem Verein die gemeinsame Segelwoche mit Geschwisterkindern seit Anbeginn sehr wichtig.
Die alleinige Betreuung von 8 Kindern auf der ersten Flottenfahrt „war schon eine Herausforderung, aber ich wollte einfach so viele Kinder wie möglich dabeihaben“, erinnert sich die Vereinsvorständin. Dieser Grundsatz ist bis heute geblieben. Das Betreuungsteam hat sich mittlerweile erweitert.
Es braucht ein gut eingespieltes Team
„Das Schöne ist, bei uns kennen sich alle schon. Wir sehen uns über den Verein mehrmals im Jahr, da sind schon viele Freundschaften entstanden.“ Eine spezielle Vorbereitung, was das Kennenlernen der Crewmitglieder betrifft, sei daher nicht nötig. Andere Projekte brauchen mehr Vorbereitung, weiß Messenböck. „Manche Organisationen treffen sich im Vorfeld an einem See, verbringen dort Zeit auf einem kleinen Segelschiff, um das Leben an Bord und die Crewmitglieder vorab kennenzulernen. Das finde ich eine sehr schöne Idee.“
Trotzdem ist jede Flottenfahrt ein wenig anders, da jedes Jahr andere Teilnehmer:innen dabei sind. Für MPS Austria ist daher das fixe, gut eingespielte Betreuungsteam – bestehend aus Anna Messenböck und ihren zwei Brüdern – eine wichtige Konstante. Man kennt sich, man kennt die Bedürfnisse der Teilnehmer:innen und den Ablauf der Segelwoche, das erleichtert vieles. „Es ist eine Herzensangelegenheit“, so Anna Messenböck, die das Projekt genauso wie ihre Brüder stets ehrenamtlich begleitet. Selbiges betrifft die Skipper, das sind freiwillige Helfer:innen der friedensflotte mirno more, die am Bord mitarbeiten und unterstützen. „Wir haben fixe Skipper, die jedes Mal mit uns unterwegs sind und gut mit den Kindern umgehen können.“
„Nicht barrierefrei“ aber „alle helfen zusammen“
Auf unsere Frage, wie viel Barrierefreiheit auf einem Segelschiff möglich ist, antwortet Messenböck: „Barrierefrei können wir es nicht machen.“ Es gehe vielmehr darum, gemeinsam Barrieren zu überwinden, indem man sich gegenseitig unterstützt. Bis zum Deck gäbe es eine Stufe, diese werde selbst bewältigt oder die Person – wenn beispielsweise im Rollstuhl – kann getragen werden. „Es helfen alle zusammen und denken füreinander mit.“
Dieses besondere Miteinander ermöglicht es sogar, dass MPS-Patient:innen während der Segelwoche ihre Enzymersatztherapie erhalten. Eine Flying Nurse kommt dazu extra aufs Schiff und verabreicht die Infusion.
Zu bedenken ist jedenfalls die Anzahl der Betreuungspersonen, da der Platz am Schiff begrenzt ist. Bei Teilnehmer:innen mit hohem Betreuungsbedarf muss das Personal entsprechend angepasst werden. „Unsere Mitfahrenden sind recht fit, da braucht es wenig aufwändige Betreuung“. Lediglich beim Duschen oder Essen ist Unterstützung gefragt. Die Friedensflotte Salzburg hatte auch schon einen Teilnehmer mit einer 24-Stunden-Betreuung und eigenen Ärzt:innen an Bord. Je nach Ausführung bieten auch die Schiffe unterschiedlichen Komfort. Ob Segelschiff oder Katamaran ist nicht zuletzt eine Frage der Finanzierung – die Kosten werden vor allem über Spenden abgedeckt.
Jede:r einzelne ist wichtig, alle sind eingebunden
Zusammenhalt und Teamwork sind am Schiff von großer Bedeutung. „Eine Crew ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied“, weiss Anna Messenböck. Ob Kochen, Segel setzen oder sonstige Manöver – am Schiff haben alle Teilnehmer:innen wichtige Aufgaben, die auch mit Verantwortung einhergehen.
Eine besonders schöne Aufgabe ist für viele Jugendliche das Segeln. „Eigenständig ein Schiff zu steuern, das ist schon etwas sehr Großes.“ Weniger mobile Teilnehmer:innen können wiederrum beim Mann-Über-Bord-Manöver eine wichtige Unterstützung sein. Bei diesem ist das wachsame Beobachten die verantwortungsvollste Aufgabe, erklärt Messenböck.
Neben den Aktivitäten am Schiff wird im Rahmen der Segelwoche auch viel sozialpädagogische Arbeit geleistet. Beim Peace-Talk werden Jugendliche beispielsweise angeregt über Ideen nachzudenken, welche die Welt verbessen könnten. Alle Ideen werden gesammelt und diskutiert.
„In so einer Woche passiert viel, was man oft erst später merkt“
Die wahrscheinlich größte Bereicherung für die Teilnehmenden ist das Selbstvertrauen, das im Laufe der Woche immens gestärkt wird. „Man sieht, wie die Teilnehmer von Tag zu Tag wachsen“, so die Vereinsvorständin im Gespräch.
Immer wieder zeigt sich, dass Kinder und Jugendliche im Laufe der Woche oder danach wieder Fähigkeiten entwickeln, die vorher unmöglich schienen. Als Anekdote erzählt Anna Messenböck von einem jungen Teilnehmer, der sich zunächst nicht selbständig die Socken anziehen konnte. „Und dann am Schiff hat er es plötzlich probiert. Er hat 20 Minuten gebraucht, aber er hat es geschafft.“ Zeit, die im Alltag oft fehlt, aber auf der Flottenfahrt da ist und auch genutzt wird.
Was MPS Austria anderen Organisationen und Familien mitgeben möchte: Die Erfahrungen während der Segelwoche hinterlassen nicht nur schöne Erinnerungen, „sondern wirken wirklich nachhaltig. Das kann den Alltag von Kindern und Jugendlichen verändern, kann die Sichtweise auf die Welt verändern.“
Weitere Informationen
friedensflotte mirno more:
https://www.mirnomore.org
Verein MPS Austria:
https://www.mps-austria.at
AutorIn: Alice Bauer
Zuletzt aktualisiert am: 05.11.2024
Artikel-Kategorie(n): Allgemein, News
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