Ein Jahr nach dem Start der Einführung der neuen Lehrpläne für die Volksschule, Mittelschule und AHS Unterstufe wird nun auch der veraltete Lehrplan für den sonderpädagogischen Bereich reformiert. Durch eine flexiblere Auslegung sollen Unterricht und Förderbedarf besser kombiniert werden können. Die Diakonie übt jedoch Kritik an den Plänen.
Politik betont Verbesserungen
„Mit den neuen Lehrplänen im sonderpädagogischen Bereich werden nun nach der Überarbeitung der Lehrpläne für die Volksschulen, Mittelschulen und AHS-Unterstufen die letzten Lehrpläne in diesem Altersbereich kompetenzorientiert ausgerichtet.“, so Bildungsminister Polaschek.
Durch die Einführung von themenübergreifenden Kompetenzen und Fachinhalte wird versucht, eine engere Zusammenarbeit der Pädagog:innen zu erreichen. Somit soll ein fächerübergreifender Unterricht forciert werden. Gleichzeitig werden die Materialien (z.B. Schulbücher, …) neu ausgelegt und an die neuen Lehrpläne angepasst. Weiters werden auch die Aus-, Fort-, und Weiterbildungen der Lehrkräfte überarbeitet und modernisiert.
Konkrete Neuerungen
Die Grundlagen des aktuell gültigen Lehrplanes der Allgemeinen Sonderschule stammen bereits aus den 60er-Jahren, wie das Bildungsministerium betont. Bislang war der Lehrplan der Allgemeinen Sonderschule als Anhang des Volksschullehrplans verankert – dadurch, und aufgrund der unterschiedlichen Stundentafeln im Vergleich zu den Regelschullehrplänen wurde das Unterrichten zu einer Herausforderung auf verschiedenen Ebenen: zum einen organisatorischer, zum anderen pädagogischer Art.
Bei der Renovierung des Lehrplans soll nun, wie bei den anderen Lehrplänen, ein kompetenzorientierter Unterricht im Mittelpunkt stehen:
Im Allgemeinen bezieht sich der neue Lehrplan auf die neuen Lehrpläne der Volksschule bzw. Mittelschule. Dazu kommen noch die vier Förderbereiche (1) Sehen/Blindheit, (2) Hören/Kommunikation, (3) Motorik/Bewegung sowie (4) Emotional-Soziale Entwicklung. Je nach Förderbedarf könne auf diese zurückgegriffen werden.
Weiters wurden für Kinder mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf im Bereich „Lernen“ und im Bereich „Kognitive Entwicklung“ jeweils eigenständige Lehrpläne auf Basis der Volksschule bzw. Mittelschule entwickelt.
Ziel der konkreten Trennung des Angebots sonderpädagogischen Förderbedarfs sei die Möglichkeit, so besser auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen zu können, so die Bildungsdirektion in einer Presseaussendung. Eine höhere Flexibilität lasse Pädagog:innen mehr Freiraum in ihrem konkreten Handeln mit den Schüler:innen.
Start im Schuljahr 2025/26
Im Schuljahr 2021/22 werden laut Statistik Austria 29 851 Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf österreichweit nach den Lehrplänen der Sonderschule oder je nach individueller Voraussetzung des jeweiligen Schülers bzw. der jeweiligen Schülerin nach Teilen davon inklusiv in Volksschulen, Mittelschulen, AHS-Unterstufen, Polytechnischen Schulen oder in Sonderschulen unterrichtet.
Für diese Schüler:innen wird sich bereits nächsten Herbst etwas ändern: Die Umsetzung des neuen Lehrplans startet mit Beginn des Schuljahrs 25/26. Zurzeit werden die Schulbücher sowie die Aus-, Fort-, und Weiterbildungen auf den Wandel vorbereitet.
Solche Erneuerung macht keine Inklusion: Diakonie kritisiert
Die Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser findet harte Worte für die vom Bildungsministerium präsentierte Fassung der Überarbeitung der Sonderschulpläne. Dabei kritisiert sie unter anderem die Sprache, die verwendet wird: „Es ist unfassbar, dass in der aktuellen Fassung der Lehrpläne noch immer von ‚körperbehinderten‘ und ‚sprachgestörten Kindern‘ die Rede ist. Diese Begriffe zeugen von einer antiquierten Haltung und einem völlig unzureichenden Verständnis von Inklusion.“
Des Weiteren scheint es für sie offensichtlich, dass das Parallelsystem von Sonderschule und Regelschule weiterbestehen werde, obwohl dies die Chancen auf eine weiterführende Ausbildung oder einen erfolgreichen Einstieg ins Berufsleben für Kinder die eine Sonderschule besuchen erheblich verschlechtert. „44% der Absolvent:innen mit einem Sonderschulzeugnis sind 1,5 Jahre nach dem Abschluss weder in einer Ausbildung noch erwerbstätig.“, so die Diakonie.
Weitere Zahlen aus Deutschland belegen den Nutzen, den eine inklusive Schule für die betroffenen Kinder hat: Dabei schaffen 28% der Kinder in Sonderschulen einen Pflichtschulabschluss, wohingegen 46% der Kinder mit Förderbedarf, die inklusiv beschult werden, dieses Ziel erreichen.
Keine Pläne für ein 11. und 12. Schuljahr
Weiters kritisiert die Diakonie auch das Fehlen konkreter Pläne für ein 11. und 12. Schuljahr für Kinder mit sonderpädagogischem Bedarf (SPF). Es gibt wieder keine Ideen zur Förderung von Jugendlichen nach dem 16 Lebensjahr bzw. nach dem Pflichtschulabschluss.
„Anstatt diese jungen Menschen zu fördern, werden sie auch weiterhin oft ohne Beschäftigung zu Hause sitzen, oder sie landen für den Rest ihres Lebens in einer Werkstätte (Tagesstruktur). Das schadet nicht nur den Kindern und ihren Familien, sondern auch der Gesellschaft insgesamt – sozial und volkswirtschaftlich“, kritisiert die Diakonie.
Erneuerung entspricht nicht der UN-Behindertenrechtskonvention
Das Bildungsministerium betont, dass sich die Modernisierung des Lehrplans an der UN-Behindertenrechtskonvention orientiert. Laut Diakonie ist dies jedoch bezüglich der aktuellen Fassung der Sonderschullehrpläne nicht der Fall:
„Um Schule wirklich inklusiv zu gestalten, müsste dieses Parallelsystem schrittweise abgebaut werden. Vorantreiben müsste man ein inklusives Bildungssystem, in dem alle Kinder gemeinsam unterrichtet werden“, so Moser.
Diesbezüglich betont die Diakonie die Wichtigkeit eines „Lehrplan für alle“ – dieser könne mit individuellen Unterstützungs- und Förderangeboten Bildung im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention verwirklichen. Die Aufrechterhaltung und Verfestigung des Sonderschulwesens gilt es daher zu stoppen.
„Menschen sind nicht behindert, sie werden es durch soziale, rechtliche und bauliche Barrieren“, so die Direktorin der Diakonie. „Anstatt lediglich die Defizite der Kinder zu beleuchten, setzen wir uns für die Verbesserung der Rahmenbedingungen ein, damit alle Kinder – egal ob mit oder ohne Behinderungen – ihre Fähigkeiten entfalten können und Chancengleichheit erfahren.“ Sie betont abschließend: „Wir sind überzeigt davon, dass diese Entfaltung für alle nur in einem inklusiven Bildungswesen funktionieren kann“.
Quellen:
Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung via OTS | 17.10.2024
Neue Lehrpläne für den sonderpädagogischen Bereich
https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20241017_OTS0044/
Diakonie Österreich via OTS | 21.10.2024
Diakonie: Neue Sonderschul-Lehrpläne zeigen eine Haltung aus den 1950er Jahren
https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20241021_OTS0085/
AutorIn: Valentin Lengauer
Zuletzt aktualisiert am: 07.11.2024
Artikel-Kategorie(n): News, Schulische Integration
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