Offene Themen, fehlende soziale Absicherung, diskriminierende Regelungen: Menschen mit Behinderungen wird es nach wie vor sehr schwer gemacht, ein selbstbestimmtes Leben zu leben! Eine Tatsache, die nicht nur am Tag der Menschen mit Behinderungen aufgezeigt und ernst genommen werden muss.
Jährlich am 3. Dezember findet der internationale Tag der Menschen mit Behinderungen statt. Ein Tag, der erreichte Ziele, aber auch bestehende Versäumnisse in der Behindertenpolitik in den Mittelpunkt rückt. Behindertenorganisationen wie ÖZIV oder Monitoring-Ausschuss verweisen auf eine „mehr als schleppende Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention“ in unserem Land. „Wichtige Vorhaben werden aufgeschoben, Verhandlungen in die Länge gezogen oder scheitern an der Kooperation der Bundesländer!“, so Rudolf Kravanja, Präsident des ÖZIV Bundesverbands. Auch VertretungsNetz ortet viele Mängel und Probleme in der Praxis, die Selbstbestimmung und echte Inklusion erschweren oder sogar unmöglich machen.
Eigene Wohnung für Menschen mit Behinderungen oft nicht leistbar
„Viele Menschen, die wir vertreten, können nicht so wohnen, wie sie möchten, weil entweder die finanzielle Absicherung fehlt oder wichtige Unterstützungsdienste im Alltag nicht zur Verfügung stehen, die ein selbstbestimmtes Leben außerhalb von Institutionen überhaupt erst ermöglichen würden“, kritisierte Gerlinde Heim, Geschäftsführerin des Erwachsenenschutzvereins VertretungsNetz.
Gerade Personen, die aufgrund ihrer Behinderungen als “nicht selbsterhalterungsfähig” gelten, befinden sich häufig in prekären finanziellen Situationen. Das Einkommen ergibt sich hier aus Sozialhilfe, erhöhter Familienbeihilfe, Pflegegeld usw. – davon zu leben ist jedoch aufgrund der gestiegenen Fixkosten und Mieten kaum möglich. Der Höchstsatz für Sozialhilfe liegt aktuell in allen Bundesländern bei EUR 1.156,-, also deutlich unter der Armutsgrenze von rund EUR 1.572,-. Zusätzliche Geldbeträge, wie beispielsweise ein Anspruch auf Wohnbeihilfe, werden meist gegengerechnet. Das Wohnen in den eigenen vier Wänden wird so zur finanziellen Herausforderung. Größere Kostenaufwände, wie eine kaputte Heizung oder ein barrierefreier Umbau, sind kaum zu stemmen. Nicht selten zwingt eine finanzielle Notlage zum Umzug in ein Pflegeheim, obwohl diese Personen ansonsten zuhause gut zurechtkommen würden.
Nachteilige Unterhaltsregelungen als diskriminierende Praxis
Verstärkt wird das Problem durch die Unterhaltsregelung: Wenn Menschen mit Behinderungen “nicht selbsterhalterungsfähig” sind, verpflichtet das ihre Eltern ein Leben lang, Unterhalt zu leisten. Erwachsene Menschen mit Behinderungen kommen somit in die paradoxe Situation, dass diese von ihren eigenen Eltern auf Unterhalt einklagen müssen, damit die volle Sozialhilfe ausgezahlt wird. Gerlinde Heim, Geschäftsführerin von VertretungsNetz, zeigt sich darüber empört: „Es muss endlich Schluss mit der beschämenden Praxis sein, dass erwachsene Menschen mit Behinderungen finanziell abhängig bleiben und von den Eltern verlangt wird, ihr Leben lang als Lückenbüßer für den Sozialstaat einzuspringen!“
Laut VertretungsNetz braucht es dringend eine gesetzlich verankerte soziale Mindestabsicherung, um allen Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Hierzu gehört auch der Ausbau der mobilen Betreuung und Pflege sowie ein flächendeckendes Angebot an Persönlicher Assistenz.
Persönliche Assistenz essenziell für ein selbstbestimmtes Leben
Viele Leistungen für Menschen mit Behinderungen werden derzeit je nach Bundesland unterschiedlich gehandhabt, darunter auch die Regelungen zur Persönlichen Assistenz. Eine Folge davon sind ungleiche Ansprüche je nach Wohnort und damit fehlende Gleichberechtigung im Hinblick auf Selbstbestimmung.
Mit dem Pilotprojekt der Harmonisierungsrichtlinie sollte nun endlich eine bundesweite Regelung zur Persönlichen Assistenz geschaffen werden – die Umsetzung scheiterte jedoch kürzlich an der Wiener Landesregierung. Die Richtlinie zielte neben einer Vereinheitlichung der Leistungen auch darauf ab, den Zugang zu Persönlicher Assistenz zu erweitern und die Arbeitsbedingungen in diesem Bereich zu verbessern. Ein Jahr lang wurde zwischen Fonds Soziales Wien und Sozialministerium verhandelt, im August schienen alle Wege geebnet. Trotz Aussicht auf 52 Millionen Euro Fördermittel entschied sich die Wiener Landesregierung jedoch Ende November – aus unklaren Gründen – gegen die Vertragsunterzeichnung.
Auch Rudolf Kravanja, Präsident des ÖZIV Bundesverbands, zeigt sich enttäuscht und fordert Bund und Länder auf, bei der Umsetzung der UN-BRK an einem Strang zu ziehen: „Wenn es um gute und zukunftsorientierte Lösungen geht, die das Leben von Menschen mit Behinderungen verbessern sollten, können sich die Bundesländer nicht aus ihrer Verantwortung stehlen.“
Weitere Informationen
ÖZIV via OTS, 29.11.2024
ÖZIV Bundesverband: Bundesländer können sich nicht aus Verantwortung stehlen
https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20241129_OTS0076
VertretungsNetz via OTS,28.11.2024
Menschen mit Behinderungen haben ein Recht darauf, selbstbestimmt zu wohnen.
https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20241128_OTS0086
AutorIn: Redaktion
Zuletzt aktualisiert am: 03.12.2024
Artikel-Kategorie(n): Behindertenpolitik, Gesetze, News
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