Am 07.11.2024 wurde der ÖZIV Medienpreis für herausragende Berichterstattung über Menschen mit Behinderungen verliehen. Der Anerkennungspreis ging an das Podcast-Team Marietta Trendl und Franz-Joseph Huainigg. Behindertenarbeit.at hat beide im ORF-Zentrum getroffen und zu Hintergründen und weiteren Zielen befragt.
“Wir haben uns sehr gefreut über den Preis. Das ist eine Motivation weiterzumachen”, zeigen sich Huainigg und Trendl stolz über die Auszeichnung mit dem ÖZIV Medienpreis. Seit zwei Jahren ist der Podcast “Wanted: Superassistenz” Teil der Ö1-Sendereihe “Inklusion gehört gelebt”. Die Idee ist einfach und außergewöhnlich zugleich: Franz-Joseph Huainigg lädt auf der Suche nach Persönlicher Assistenz zum fiktiven Bewerbungsgespräch und trifft dabei auf Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Hintergründen. Am Ende erwartet die Bewerber:innen eine Challenge, bei der diese ihr Können in der Praxis beweisen müssen.
Die Jury des ÖZIV Medienpreises war sich einig: „Das innovative und inklusive Konzept des Podcasts ermöglicht es, inhaltlich mehrere Themen aufzugreifen – insbesondere die Bedeutung von Persönlicher Assistenz für die Betroffenen sowie die Fähigkeiten der Menschen mit Behinderungen allgemein. Das ist in jedem Fall einen Anerkennungspreis wert.“
Franz-Joseph Huainigg, ORF-Beauftragter für Barrierefreiheit und Inklusion, und die Journalistin Marietta Trendl gestalten den Podcast gemeinsam. Die Zusammenarbeit ergab sich eher zufällig: Während eines Praktikums beim ORF traf Trendl auf Huainigg in der Kantine. „Dann hat Franz-Joseph jemanden gesucht und mich angeschrieben“, erzählt Trendl. So führte eines zum anderen – und der Austausch schließlich zu „Wanted: Superassistenz“.
Suche nach Persönlicher Assistenz als große Herausforderung
Die Idee zum Podcast entstand aus einer aktuellen Problematik, die Franz-Joseph Huainigg aus eigener Erfahrung gut bekannt ist: Die Suche nach Persönlicher Assistenz ist schwieriger geworden. “Nach der Corona-Zeit ist irgendwas passiert, es gibt ganz wenige Bewerbungen. Ich glaub, dass die Leute nicht mehr gewohnt sind, so nahe zusammenzuarbeiten.“ Menschen seien nun eher darauf bedacht, Distanz zu wahren. Viele möchten lieber online arbeiten, so Huainigg, der selbst seit vielen Jahren mit der Unterstützung von Assistent:innen lebt.
So kam Franz-Joseph Huainigg die Idee „eine Sendung zu machen, wo wir zeigen, was Persönliche Assistenz ist, was gebraucht wird.“ Das Format als Bewerbungsgespräch bot zusätzlich die Möglichkeit, dass sich Persönlichkeiten vorstellen und präsentieren können, über ihre Zugänge und Sichtweisen sprechen können, wie bei einer echten Bewerbung.
Vielfältige Gespräche mit persönlichen Einblicken und Tiefgang
Die Gäste für die Bewerbungsgespräche kommen aus unterschiedlichen Bereichen. „Es ist eine Mischung. Es sind einerseits Leute mit Behinderungen, Leute, die mit dem Thema vertraut sind, wie Monika Haider oder Germain Weber, aber auch Künstler:innen.“ Auch Personen ganz ohne Vorahnung und Wissen über Persönliche Assistenz stellten sich dem Bewerbungsgespräch. Gerade die vielfältigen Zugänge sorgen im Podcast für Abwechslung und spannende Perspektiven.
Im Rahmen der Interviews geht es jedoch nicht nur um Persönliche Assistenz, sondern auch darum, ins Gespräch zu kommen. Der Job als Persönliche Assistent:in erfordert Offenheit und Nähe, was sich auch in den Interviews widerspiegelt. „Da spricht man über Dinge, die man vielleicht nicht jedem erzählen würde, die Gespräche bekommen durchaus einen Tiefgang“. Marietta Trendl ergänzt mit Blick zu Franz-Joseph Huainigg: „Ich glaub, weil du auch so offen über dein Leben sprichst, das führt dann dazu, dass die Gäste aufmachen und von sich erzählen.“
Praxistest Challenge: „Da geht‘s darum, einfach mal zu machen“
Ein Highlight der Podcast-Folgen ist sicherlich die Challenge. Die Gäste werden dabei aufgefordert, eine praktische Aufgabe aus dem Arbeitsalltag Persönlicher Assistent:innen zu meistern – spontan und ohne Einschulung. „Da geht’s darum, dass die Hemmungen wegfallen und das einfach mal zu machen“, so Marietta Trendl. „Es ist lustig, wie die Leute reagieren und das angehen“, fügt Huainigg mit einem Schmunzeln hinzu.
Für bisherige Bewerber:innen verlief die Challenge durchaus erfolgversprechend: Justus Reichl (Wirtschaftskammer Österreich) wechselte souverän den Beatmungsschlauch, Chris Lohner (Fernsehsprecherin und Autorin) eine maßgeschneiderte Ansage aufs Tonband, Kristina Sprenger (Schauspielerin) unterstützte Huainigg beim Einsteigen in einen öffentlichen Bus.“ Letztlich kann nichts passieren, da immer auch eine Persönlichen Assistentin von Franz-Joseph Huainigg anwesend ist.
Persönliche Assistenz „braucht keine Ausbildung, aber gute Einschulung“
Auf die Frage, ob es typische Unsicherheiten oder Missverständnisse in Zusammenhang mit Persönlicher Assistenz gibt, antwortet Marietta Trendl: „Viele Personen glauben, sie brauchen erst eine Ausbildung, um als Persönliche Assistenz arbeiten zu können.“ Insbesondere Huainiggs Beatmungsgerät sorge immer wieder für Verunsicherung. Doch dieser beruhigt: „Man muss keine Pflegeausbildung haben. Es gibt eine gute Einschulung durch bestehende Assistent:innen, die vorzeigen, wie es funktioniert.“ Bis alle Handgriffe sitzen dauert es etwa drei bis vier Wochen. Zum Abschluss gibt es eine Prüfung durch eine Pflegefachkraft – ein Prozedere, das durch das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz vorgeschrieben ist. „Es geht da um eine lebenserhaltende Maßnahme. Da muss die Assistentin sicher sein und ich muss auch sicher sein. Aber ich lebe jetzt schon seit 18 Jahren mit dem Beatmungsgerät, mit der Einschulung funktioniert das sehr gut“, so Huainigg.
Persönliche Assistentin Julia nickt zustimmend: „Ich hab das Gefühl, bei den Dingen, für die ich verantwortlich bin, kann eigentlich nichts passieren, worauf ich nicht vorbereitet bin.“ Selbst diverse Notfälle, wie der Wechsel eines abgeknicktes Beatmungsschlauchs oder die mechanische Beatmung durch den Ambubeutel, werden trainiert und konnten im Ernstfall bisher stets unter Kontrolle gebracht werden.
„Eine einheitliche Assistenz, bundesweit, das wäre das große Ziel“
Der Weg zu dem heutigen Berufsbild der Persönlichen Assistenz war nicht einfach, weiß Franz-Joseph Huainigg, der viele Jahre im Nationalrat tätig war: „Ich bin 2002 ins Parlament, da war Persönliche Assistenz noch überhaupt kein Thema.“ Durch seine Tätigkeit als Abgeordneter wurden erstmals auch Assistentinnen im Parlament sichtbar und damit die Bedeutung von Persönlicher Assistenz vielen Kolleg:innen erst bewusst. 2004 wurde erstmals eine bundesweite Regelung für Persönliche Assistenz am Arbeitsplatz beschlossen, 2007 gelang der Vorstoß, dass Persönliche Assistent:innen auch Pflegetätigkeiten übernehmen dürfen – ein Gesetz, das anfangs auf großen Widerstand stieß.
„Das große Thema war immer eine ganzheitliche Assistenz, bundesweit, einheitlich. Das habe ich bis zu meinem Ausscheiden nicht geschafft. Da gibt es neun verschiedene Länder, die unterschiedlich weit sind, unterschiedliche Ansätze haben. Diese zusammenzuführen, das wäre jetzt das große Ziel“, so Huainigg mit Verweis auf das Pilotprojekt zur Harmonisierung Persönlicher Assistenz, das von Wien kürzlich abgelehnt wurde. Anlässlich der Demonstration am 6. Dezember komponierte Huainigg sogar einen Protestsong mithilfe Künstlicher Intelligenz.
Weitere Ziele: Mehr Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderungen
Auch für die Suche nach einer Persönlichen Assistenz schrieb Huainigg einen eigenen Song. Über 7.000 Mal wurde sein Video mit dem eingängigen Refrain „Persönliche Assistenz ist cool“ angesehen. An Kreativität und Engagement mangelt es dem Beauftragten für Barrierefreiheit nicht. Kürzlich erhielt Franz-Joseph Huainigg für seinen unermüdlichen Einsatz sogar den Elisabeth Wundsam-Hartig-Preis. Und der ORF wurde mit dem ALC-Inklusionspreis ausgezeichnet, der auf Initiativen von Huainigg aufbaut.
Auf unsere Frage, welche nächsten Ziele angestrebt werden, antwortet Huainigg mit einem Lächeln: „Da gibt’s viele.“ Allem voran brauche es mehr Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderungen, im Fernsehen, in der Werbung oder in der Moderation. Die inklusive Casting-Initiative „Mach dich sichtbar“, welche ebenfalls von Huainigg initiiert wurde, ist hier ein wichtiger Schritt. Die ausgewählten Talente werden auch in einer der nächsten Folgen des Podcast „Wanted: Superassistenz“ zu hören sein, lässt man uns wissen.
Eine weitere Überlegung sei es, den Podcast im TV zu zeigen. Vor allem die Challenge eigne sich gut, um den vielseitigen Arbeitsalltag als Persönliche Assistenz sichtbar und damit bekannter zu machen. Denn eines ist sicher, und das sollen noch viel mehr Leute wissen: Persönliche Assistenz ist cool und ein besonderer Lebensstil.
Weitere Informationen:
“Wanted: Superassistenz” Podcast der Sendereihe “Ö1 Inklusion gehört gelebt”: https://sound.orf.at/podcast/oe1/oe1-inklusion-gehoert-gelebt
AutorIn: Alice Bauer
Zuletzt aktualisiert am: 11.12.2024
Artikel-Kategorie(n): Allgemein, News, Persönliche Assistenz, Selbstbestimmtes Leben
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