Jugend am Werk feiert sein 80-jähriges Jubiläum. Ein Anlass, den Team Behindertenarbeit.at nutzte, um mit Geschäftsführerin Brigitte Gottschall und Pressesprecher Wolfgang Bamberg über Zukunftspläne und Veränderungen in der Sozialbranche zu sprechen.
Am 1. Juni 1945 wurde Jugend am Werk gegründet. Anfangs als Initiative der Stadt Wien, um Jugendlichen nach dem Krieg eine berufliche Perspektive zu geben, einige Jahre später als eigenständige Organisation mit Schwerpunkt in der Behindertenarbeit. Heute zählt Jugend am Werk zu einer der größten Non-Profit-Organisationen im Sozialbereich und bietet als solche ein umfangreiches Angebot an sozialen Dienstleistungen.
„Es geht immer darum, den Bedarf zu sehen“
Die Organisation wuchs dabei stetig mit den Bedürfnissen ihrer Teilnehmer:innen: Als Mitte der 50er Jahre erstmals Jugendliche mit Lernschwierigkeiten und Behinderungen zu Jugend am Werk kamen, entstand zunehmend der Bedarf an Beschäftigungstherapien, wodurch es zur Eröffnung von Tagesstrukturen kam. „Als diese ersten Jugendlichen volljährig wurden, mussten passende Wohnangebote geschaffen werden.“ – dies führte zu ersten Wohneinrichtungen für Jugendliche mit Behinderungen.
“Es geht immer darum den Bedarf zu sehen und entsprechenende Dienstleistungen zu entwickeln. Wir fangen klein an und irgendwann wird es ein großes Angebot. So ist die ganze Geschichte von Jugend am Werk entstanden”, erzählt Geschäftsführerin Brigitte Gottschall.
Zukunftspläne: “Ideen gibts wahnsinnig viele”
Auf die Frage, welche Ziele die Organisation für die nächsten Jahre hat, antwortet Gottschall rasch: “Ideen gibt’s wahnsinnig viele bei 1.750 Mitarbeiter:innen, und wir holen ja die Ideen von der Basis ab.” Insgesamt handle es sich jedoch um keine große Kursänderung, sondern um viele kleine Projekte.
Viele Ideen zielen Richtung noch selbständigeres Wohnen, lässt man uns wissen. Auch im Bereich des betreuten Wohnens brauche es Veränderung, vor allem mehr Flexibilität bei Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf. “Wir müssen Richtung Arbeitsmarkt ganz anders denken”, ist Gottschall überzeugt. Dank der Förderrichtlinie des Sozialministerims wird derzeit intensiv an Projekten für einen inklusiven Arbeitsmarkt gearbeitet. Verstärkt werden aktuell auch Angebote für Menschen mit psychischen Erkrankungen und Lernschwierigkeiten. So existieren seit Kurzem erste WG-Formen für Menschen, die ein hohes Bedürfnis nach Ruhe und Freiraum haben.
Zentral für die Umsetzung und Weiterentwicklung von Angeboten ist jedenfalls das Feedback der Teilnehmer:innen, so die Geschäftsführerin. Ein wichtiges Anliegen von Jugend am Werk ist es daher, die Selbstvertretungen zu stärken und diese zu vernetzen.
“Die Verzahnung der unterschiedlichen Angebote wäre ein großes Ziel”
“Wir sind jetzt an einem Punkt angelangt, wo es ganz viele Querverbindungen gibt”, ergänzt Pressesprecher Wolfgang Bamberg. “Diese Verzahnung innerhalb der Organisation stärker voranzutreiben, das wäre ein großes Ziel von uns”. Sprich: Unabhängig davon, welcher Fördergeber beispielsweise hinter einem Qualifizierungs-Angebot steht, sollte der Übertritt in Richtung AMS-System erleichtert werden. Gleichzeitig wäre bei psychischer Überforderung oder dem Wunsch nach Neuorientierung eine direkte Vernetzung mit entsprechenden Projekten sinnvoll.
Darüber hinaus brauche es eine stärkere Flexibilisierung, so Bamberg. “Die ganze Arbeitswelt hat sich flexibilisiert. Man redet von flexiblen Arbeitszeiten, Work-Life-Balance und Home-Office-Möglichkeiten. Und gerade im Sozialbereich gibt es noch sehr starre Systeme, da muss man einfach flexibler denken. Menschen brauchen zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich intensiv Unterstützung.”
“Wir merken den Wunsch nach mehr Flexibilität ganz stark”
Mit Blick in die Zukunft der Sozialbranche gewinnt noch ein weiterer Aspekt an Bedeutung: Angesichts des Fachkräftemangels wird es für Organisationen immer wichtiger, die Bedürfnisse der Mitarbeitenden in den Mittelpunkt zu stellen, betont Gottschall.
“Wir merken den Wunsch nach mehr Flexibilität von Seiten der Arbeitnehmer:innen ganz ganz stark”, so die Geschäftsführerin. Jugend am Werk bietet daher flexible Arbeitszeitenmodelle. Auch die Größe der Organisation kommt den unterschiedliche Bedürfnissen entgegen: “Wenn jemand flexible Dienste haben will, ist das im Wohnbereich möglich, weil man über Nacht- und Wochenenddienste auch mit weniger Wochentagen auf seine Stunden kommen kann. Möchte man einen geregelten Tagesablauf mit fixen Diensten, bietet sich die Tagesstruktur an, weil da sind die Öffnungszeiten ganz klar geregelt. Möchte man einen verstärkten Home-Office-Anteil, wird es vielleicht etwas im Bereich berufliche Inklusion etwas geben, bei Qualifizierungsprojekten.”
Jugend am Werk hat sich auch im Bereich der Führungskräfte eine flexible Lösung einfallen lassen: “Wir haben geteilte Leitungen. Das ist der Wunsch, gerade wenn Personen aus der Karenz zurückkommen oder einfach andere Lebenspläne haben und keine Vollzeitleitung sein wollen.” Eine geteilte Verantwortung kann spannend sein, aber “heißt natürlich, dass es auch mehr Köpfe gibt, das fordert uns als Organisation schon.”
Aus- und Weiterbildung: “es lohnt sich, mehr zu investieren”
Letztlich gilt es, möglichst viele Menschen für die Arbeit im Sozialbereich zu begeistern. “Wir versuchen so vielfältig und offen wie möglich zu sein”, so ein Credo bei Jugend am Werk. Es werden vermehrt Quereinsteiger:innen eingestellt, es gibt Angebote für das freiwilige Soziales Jahr und verschiedene Praktika. “Weil wir auch den Mehrwert sehen, wenn die Teams bunter sind”, weiß Gottschall.
Je nach Vorbildung und Erfahrung bietet Jugend am Werk verschiedene Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten. “Wir sehen, dass die Ausbildung ein wesentlicher Faktor ist, bei dem es sich lohnt, mehr zu investieren”, so die Geschäftsführerin im Gespräch. Einerseits zur Qualifizierung der Mitarbeitenden, aber auch “weil Inhalte in Grundausbildungen oft nicht so berücksichtigt sind, wie wir sie dann brauchen.”
Besondere Bedeutung hat auch die Stärkung der Mitarbeiter:innen durch Schulungen. Jede:r Mitarbeiter:in profitiert beispielsweise von Weiterbildungen im Bereich der Deeskalation, ist man bei Jugend am Werk überzeugt.
Branche muss Fokus auf Image und Flexibilisierung legen
Insgesamt sei es für die Zukunft des Sozialbereichs wichtig, das Image der Branche weiter zu verbessern, ist man bei Jugend am Werk überzeugt. “Wir sind ein wertvoller Faktor in der Gesellschaft, auch ein wirtschaftlicher Faktor, der nicht mehr wegzudenken ist”, so Gottschall. In Hinblick auf das Image der Sozialberufe ergänzt Bamberg: “Es ist nicht schlecht bezahlt. Und es ist eine Arbeit, wo man in der Früh aufsteht und das Gefühl hat, ich mache es gerne, weil es hat einen Sinn, warum ich das mache.“
Diese Sichtweise gilt es nach innen und außen zu transportieren. Jugend am Werk ist auch im Vorstand Sozialwirtschaft Österreich vertreten: “Da versuchen wir gerade auf Basis des Kollektivvertrags die Arbeitsbedingungen flexibel zu gestalten und das Image zu heben.” Ein guter Austausch mit den Sozialpartnern, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und ein positiveres Image sind die zentralen Punkte, an denen derzeit intensiv gearbeitet wird.
“Wir haben die Möglichkeit zu raunzen oder wir gestalten und schaffen es, die Gegebenheiten positiv für uns umzusetzen. Das tun wir schon sehr viele Jahrzehnte. Und haben das auch vor, noch sehr lange zu tun”, so Brigitte Gottschall abschließend.
Jubiläumsfeier beim “Fest der Inklusion” im Wien Museum
Die 80-jährige Geschichte von Jugend am Werk ist jedenfalls ein Grund zu feiern. Am 20. September 2025 wird daher ein “Fest der Inklusion” organisiert, zu dem alle Interessierten herzlich eingeladen sind. Die Veranstaltung findet gemeinsam mit dem Wien Museum statt und bietet neben einem bunten Rahmenprogramm auch Einblick in die Geschichte von Jugend am Werk sowie in die inklusiven Angebote des Wien Museums. Ein besonderes Highlight: Mitarbeitende und Teilnehmer:innen erzählen von ihren Erlebnissen und Erfahrungen bei Jugend am Werk. Aus den viele Berichten wird letztlich sogar ein Buch entstehen.
Team Behindertenarbeit.at gratuliert herzlich zum 80-jährigen Jubiläum und bedankt sich für das Interview.
AutorIn: Alice Bauer
Zuletzt aktualisiert am: 31.07.2025
Artikel-Kategorie(n): Arbeitsbedingungen, News
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