Der Betriebsrat der Wiener Sozialdienste Förderung und Begleitung GmbH hat einen Offenen Brief an behindertenarbeit.at gesendet, den wir hiermit veröffentlichen.
Offener Brief an Wissenschaft, Politik, Geldgeber, Geschäftsführung, Vorstand, Gewerkschaft und andere potentielle Unterstützer
Es reicht (nicht mehr)!
„Entwicklungsförderung darf kein Sparziel sein“
Sehr geehrte Damen und Herren!
In fast allen Bereichen der Wiener Sozialdienste FöBe GmbH haben im Jahr 2014 die Einsparungen voll eingesetzt. Betroffen sind vor allem die Bereiche Wohnen, Tagesstruktur und Basale Förderklassen. Jüngster Höhepunkt dieser Entwicklung sind folgenschwere Veränderungen in der Mobilen Frühförderung mit Jahresende, die uns nun zum Handeln zwingen. Sollten die kommunizierten Einsparungen umgesetzt werden, würde dies das Ende des Wiener Modells der Interdisziplinären Mobilen Frühförderung bedeuten. Damit würde sich die Betreuung von Familien mit entwicklungsgefährdeten, entwicklungsverzögerten oder behinderten Kindern massiv verschlechtern.
Gerade in diesen Tagen wird in Wien unter großer Öffentlichkeitswirksamkeit das Netzwerk Frühe Hilfen aufgebaut. Das Wiener Modell der Frühförderung und Familienbegleitung, das in dieser Form österreichweit ausschließlich von den Wiener Sozialdiensten angeboten wird, ist seit seiner Gründung ein Teil der Frühen Hilfen, wird für seine Effizienz und Qualität in Fachkreisen hochgeschätzt und genießt internationale Aufmerksamkeit.
Vor über 20 Jahren als zukunftsweisendes Projekt von der Stadt Wien ins Leben gerufen, steht es nach wie vor für den gemeinsamen politischen Willen zur Chancengleichheit für alle, die in dieser Stadt leben.
Grundlage für die Einrichtung dieses Angebots war ein gemeinsamer Beschluss aller damals im Wiener Gemeinderat vertretenen Parteien.
Dr. Gertrude Bogyi (soeben gekürte „Österreicherin des Jahres 2014 für humanitäres Engagement“) wurde als Leiterin des Koordinationsteam der ARGE Frühförderung mit der Konzeptentwicklung betraut. 1998 zeichnete die Stadt Wien das „Wiener Modell der Mobilen Frühförderung und Familienbegleitung“ mit dem Gesundheitspreis in der Kategorie Gesundheit und Prävention aus.
Die wesentlichen Qualitätsmerkmale dieses, unseres Angebots sind
- der niederschwellige, unbürokratische Zugang für betroffene Familien, der eine breite Inanspruchnahme ermöglicht
- die enge Verschränkung von Entwicklungsförderung und Familienbegleitung, welche gleichwertig im Fokus der Betreuungsarbeit stehen
- die wöchentlichen interdisziplinären Fallbesprechungen, an der fallführende Frühförderinnen, PsychologIn/PsychotherapeutIn, Arzt/Ärztin und Sozialarbeiterin teilnehmen und die für die Effizienz und Qualität der Betreuungsarbeit maßgebend sind
- die umfassende und hochspezialisierte akademische Ausbildung der Frühförderinnen und Familienbegleiterinnen
Unabwendbare Folgen der Finanzierungsumstellung und Budgeteinsparungen sind
- einerseits hohe bürokratische Hürden für die Inanspruchnahme des Angebots, welche für viele Familien unübersteigbar sein werden.
- andererseits führt die geplante Reduktion in den Bereichen Reflexion und Interdisziplinarität unumgänglich zur massiven Qualitätsminderung im Leistungsangebot der Frühförderung und Familienbegleitung. Diese Einschnitte sind sowohl im Konzept als auch in der praktischen Umsetzung – der Familienbetreuung – so tiefgreifend, dass im Fall ihrer Umsetzung nicht mehr vom Wiener Modell gesprochen werden könnte.
Eine derartige Zugangsbeschränkung und Qualitätseinbuße im Bereich der frühen Entwicklungsförderung zieht weitreichende Folgen im Leben betroffener Kinder und ihrer Familien nach sich. Sie bedeutet nicht nur eine besorgniserregende politische Weichenstellung im Sinne einer gesellschaftlichen Entsolidarisierung, sondern auch eine ökonomisch bedenkliche Maßnahme, die hohe Folgekosten zugunsten kurzfristiger Einsparungen in Kauf nimmt. Dies ist vor allem auch deshalb nicht nachvollziehbar, da „Frühe Hilfen“ aktuell in den Fokus politscher Zielsetzungen und Anstrengungen gerückt sind.
Die Auflösung des „Wiener Modells“ würde nicht bloß den Verlust eines theoretischen Konzepts bedeuten – ein effizientes und hervorragendes Betreuungsangebot würde dadurch verloren gehen.
Der Angestelltenbetriebsrat der Wiener Sozialdienste Förderung und Begleitung GmbH, unterstützt von allen Mitarbeiterinnen, spricht sich für die Sicherstellung der Finanzierung und somit für die Aufrechterhaltung des Konzepts der Mobilen Frühförderung und Familienbegleitung dem „Wiener Modell“ aus.
Wir brauchen Ihre Unterstützung so bald wie möglich, die Zeit läuft. Durch Ihre Unterschrift und/oder Zur-Verfügung-Stellung sachbezogener Stellungnahmen kann es gelingen, dieser Entwicklung entgegen zu wirken. Es geht um das Überleben eines einzigartigen Modells und somit um eine qualitativ hochwertige Betreuung von Kindern mit Behinderungen und Entwicklungsverzögerungen und deren Familien. Diese muss auch in Zukunft weiterhin sichergestellt werden.
Kontaktadresse:
Angestelltenbetriebsrat Wiener Sozialdienste Förderung und Begleitung GmbH
Cornelia Rosendorfsky, Betriebsratsvorsitzende
Email: Cornelia.rosendorfsky@wiso.or.at
Quelle: Angestelltenbetriebsrat Wiener Sozialdienste Förderung und Begleitung GmbH
AutorIn: Redaktion
Zuletzt aktualisiert am: 30.05.2015
Artikel-Kategorie(n): Arbeitsbedingungen, News
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