Behindertenorganisationen kämpfen – oft medienwirksam – für Inklusion, werden nicht müde, die Vorteile von Inklusion für die Gesellschaft und die Arbeitswelt hervorzustreichen. Welchen Befund erhalten wir jedoch, wenn wir ins Innere dieser Organisationen schauen? Ein Kommentar von Norbert Pauser.
Zuletzt gab es eine Kampagne der Lebenshilfe für Inklusion. Im breitesten Dialekt waren da Slogans zu lesen. Männer unterschiedlicher Behinderungen standen oder saßen ganz alleine vor einem dunkelgrauen Hintergrund. War da eine Frau auch dabei, oder? Ich bin nicht mehr sicher. Sie bekannten sich zur Inklusion. Das bedeute nämlich „Sei keana wia ma is.“, oder einfach „dazua ghean.“. Dezent in der Ecke war dann natürlich auch eine Spendenaufforderung angebracht.
Was aber ist Inklusion? Im Gegensatz zu hinlänglich propagierten defizitären Integrationsbemühungen („Du musst (dich) bitte wirklich besser integrieren, hörst du?“) stellt sich Inklusion als ein (organisationales) Arrangement dar in dem alle ihre Talente, Fähigkeiten oder Leistungen er- und einbringen können. Das setzt voraus, dass sich die Organisation entsprechend verändert. Also die Schaffung von Rahmenbedingungen die dem Wohle aller dienen.
Behinderteneinrichtungen sind im Zusammenhang mit der Realisierung von Inklusion hochrelevante AkteurInnen weil richtungsweisend. Wollen sie doch die Gesellschaft in vielerlei Hinsicht beim Paradigmenwechsel zu einer „Inklusiven Gesellschaft“ anleiten bzw. begleiten. So wie es auf den Plakaten zu lesen war. Darüber hinaus vertreten gerade Behinderteneinrichtungen die Anliegen jener Gruppen von Menschen mit Behinderungen, auf die klassische Integrationsansätze abzielen, und machen uns auf jene Diskrepanzen aufmerksam, die sich gegenwärtig auftun.
Zahlreiche Begriffe prägen die gegenwärtigen Debatten: Inklusion, Selbstbestimmung, Diversity, Partizipation, UN-Konvention, uVm.
Dem gegenüber steht, dass knapp ein Viertel der Organisationen und Institutionen (22,7 % der österr. „Unternehmen“, siehe bspw. www.oear.or.at) ihrer Einstellpflicht nachkommen. Schwierig also, wenn durch Inklusion nun auch noch die Strukturen und Hierarchien von Organisationen hinterfragt werden sollen.
Was läge da näher als die größten Behinderteneinrichtungen selbst in den Blick zu nehmen? Wie hoch ist vergleichsweise deren Anteil von MitarbeiterInnen mit Behinderungen?
Sind sie VorreiterInnen in der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen? Haben sie Strukturen hervorgebracht, die Inklusion erkennen lassen? Oder gehen sie sogar mit gutem Beispiel voran und zeigen der Gesellschaft wie inklusive Anliegen in lebbare Strukturen gebracht werden können?
Die Antworten fallen mir nicht leicht. Ja, in einem geringen Ausmaß ist die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderungen in den größten Behinderteneinrichtungen höher. Das ist aber dem Umstand geschuldet, dass ihre KlientInnen am so genannten zweiten Arbeitsmarkt vorübergehend beschäftigt werden um später einer Integration zugeführt zu werden. Würden wir diese Zahl herauslösen, wie würde die Situation dann erst aussehen? Unter 22,7 %? Vermutlich, ja. Es gibt dazu kein differenziertes Zahlenmaterial.
Doch nicht nur dieses erste Fazit ist gewissermaßen ernüchternd. Wir wissen nämlich auch gar nicht in welchen Positionen sie arbeiten. Wir haben 2013 eine Publikation für die Wirtschaftskammern Wien und Tirol in der behinderte Führungskräfte und UnternehmerInnen portraitiert wurden. Wir hätten noch viele UnternehmerInnen vorstellen können. Beeindruckende Karrieren wurden sichtbar. Der Rücklauf bei Führungskräften war gegen Null. Wie sehen dahingehend die Zahlen in Behinderteneinrichtungen aus? Welche darunter liegenden Konzepte und Traditionen liegen vor? Das würde uns alles sehr interessieren.
Zurück zu Ausgangsfrage. Wie realisieren Behinderteneinrichtungen nun Partizipation und Selbstbestimmung darüber hinaus in der MitarbeiterInnenschaft? Welche Unterstützung gibt es dahingehend? Kommen moderne Instrumente wie persönliche Assistenz zur Anwendung? Wie ist der Stand im Hinblick auf die Umsetzung der UN-Konvention?
Und: Behält die abstrakte Forderung nach einer umfassenden Inklusion in der Gesellschaft zukünftig weiterhin lediglich Schlagwortcharakter? Realisierte Inklusion ist gegenwärtig noch eine Vision, die es Schritt für Schritt mit Leben zu erfüllen gilt. Wer, wenn nicht Behinderteneinrichtungen könnten dieser Aufgabenstellung besser nachkommen? Das Ermöglichen von inklusiven Strukturen und Rahmenbedingungen ist keine leichte Aufgabe. Organisationen, die professionelle Betreuung und Beratung anbieten sind da doppelt gefordert: Sie könnten mit gutem Beispiel voran gehen, indem sie Inklusion glaubhaft vorleben. Sie sind es, die Maßstäbe setzen. Was, wenn sie selbst nicht in der Lage sind Inklusion vorzuleben?
Die höhere Arbeitslosigkeit von behinderten Menschen ist evident. Ließe diese sich entlang geänderter Rahmenbedingungen in Behinderteneinrichtungen an einem sehr konkreten Sektor abbauen? Equalizent bspw. ist europaweit die größte Arbeitgeberin für (17!) gehörlose/schwerhörige Menschen. Die Caritas Wien hat die schrittweise Steigerung der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen in ihre Gesamtstrategie aufgenommen. Einzelne Beispiele machen Mut. Dennoch gilt gestern wie heute: Inklusion sind die Anderen! Mögen sie doch bitte ihre Herzen, Türen und Börsen öffnen! Im Zuge der Realisierung von Selbstbestimmung und Partizipation wären wir gut beraten neue Wege in der Inklusion von Menschen mit Behinderungen zu gehen. Nämlich zum Beispiel mit gutem Beispiel voran zu gehen. Und zeigen wie’s geht. Dabei sein. Sein können wie wir sind. Wäre das nicht schön?
Mag. Norbert Pauser, CMC ist als Berater, Trainer und Autor tätig.
www.diversity-inclusion.at
AutorIn: Norbert Pauser
Zuletzt aktualisiert am: 16.06.2017
Artikel-Kategorie(n): Kommentare, News
Permalink: [Kurzlink]