Einen kräftigen Motivationsschub bei allen TeilnehmerInnen bewirkte das 5. Autismusforum, das am 25.09.2015 in Wien stattfand. Die Beiträge spannten einen weiten Bogen von der Elternperspektive über pädagogische Ansätze und neue Initiativen auf Seiten der Medizin bis hin zu Modellen der schulischen Integration autistischer Kinder.
Zum fünften Mal veranstaltete der Forschungsverein von Rainman’s Home das Autismusforum. Der Verein selbst entstand aus einer Elterninitiative. Im Vorstand stellen direkt oder indirekt Betroffene die Mehrheit, womit jener besondere Charakter gewahrt bleibt, der diesen Verein auch in seiner praktischen Arbeit bei der Betreuung autistischer Menschen auszeichnet.
Der eingangs präsentierte Film, erstellt von MMag. Angelika Steiner und Kolleginnen, zeigte in bewegenden Bildern die Arbeit in den Tagesstätten. BetreuerInnen und KlientInnen kommen ebenso zu Wort wie die Leiter des Vereins Dr. Therese Zöttl und Dr. Anton Diestelberger. Ausgehend von einem ethischen Fundament ist vor allem die Liebe, wie sie besonders Eltern ihren Kindern vermitteln können, die Basis des Handelns und fundiertes pädagogisches Wissen prägt das Konzept.
Frühe Intervention und Elternarbeit
Claude Schmit als Vertreter von Autism Europe und Präsident der Fondation Autisme Luxembourg rückte die Bedeutung von Elterninitiativen in den Mittelpunkt. Rainman’s Home ist seit einigen Jahren als einziger Verein Österreichs Mitglied der Dachorganisation mit Sitz in Brüssel und auch im Vorstand vertreten. Schmits Übersicht über das, was bereits bei der Entwicklung von Resolutionen im Europäischen Parlament bewirkt wurde und welche Erfolge engagierte Eltern in speziellen Fällen in Luxemburg bei der Verwirklichung von Wohneinrichtungen für Autisten haben, beeindruckte.
Der aus Belgien stammende Autismusexperte Ludo Vande Kerckhove wurde als Hauptredner des Forums zum „Publikumsliebling“. „ALL“ – so nennt er seinen Zugang: Autismus Lesen Lernen. Strukturierung und die Fähigkeit, autistische Menschen zu verstehen, ihr Verhalten analysieren und „lesen“ zu können, rückt er an die Spitze aller Interventionen. Wie auch im Konzept von Rainman’s Home herausgestrichen wird, belegt ein solch holistischer Ansatz die Sinnhaftigkeit einer Förder- und Interventionspraxis, die zum Wohle des Einzelnen aus einer Fülle von individuell aufeinander abgestimmten Methoden schöpft.
Prim. Doz. Dr. Johannes Fellinger und Doz. Dr. Daniel Holzinger vom Institut für Sinnes- und Sprachneurologie am Linzer Krankenhaus der Barmherzigen Brüder betonten die Bedeutung früher Interventionen. Sie stellten das ESDM (Early Start Denver Modell) vor, das seit kurzem an dem von ihnen neu geschaffenen Autismuskompetenzzentrum in Linz umgesetzt wird. Auch sie wiesen auf die Bedeutung der Einbindung der Eltern und die Nutzung familiärer Ressourcen im weitesten Sinn hin. Von wohlwollenden und kompetenten Fachleuten begleitet, können autistische Kinder und deren Familien so viel erreichen.
Angebote und Möglichkeit
Welche Angebote für behinderte Menschen im Allgemeinen und für autistische Menschen im Besonderen pro mente kärnten entwickelt hat, wurde in einer umfassenden Übersicht von Eva Leutner dargestellt. Die Übergangsphase vom Jugendlichen zum jungen Erwachsenenalter ist wie bei allen Menschen auch bei Menschen mit Autismus durch eine Vielzahl von sich stellenden Entwicklungsaufgaben charakterisiert. Die Bewältigung dieser stellen häufig massive Anforderungen für den Jugendlichen/jungen Erwachsenen selbst, sowie seinen (Beziehungs-) Kontext dar.
Prof. Dr. Georg Theunissen (Universität Halle-Wittenberg), der den einzigen Lehrstuhl für Pädagogik bei Autismus im deutschsprachigen Raum innehat, referierte zum Thema „Autismus und Kunst“. Seit langem weist er auf die Ideen von Empowerment, Selbstbestimmung und Selbstständigkeit hin. Die Leistungen autistischer KünstlerInnen und anderer hochbegabter Menschen im Autismus-Spektrum faszinieren, so wie sich bei den meisten Autisten Stärken in unterschiedlichen Bereichen erkennen lassen, die es speziell zu fördern gilt. Kunst und Kunst-Schaffen sind hierbei besonders geeignet, Türen in die Gesellschaft zu öffnen, Anerkennung zu erfahren und über die Steigerung des Selbstwertgefühls zu „sich zu finden“.
VertreterInnen des Stadtschulrates für Wien stellten das „Mentorinnen BegleitSystem“ (MBS) vor. Sabina Haider zeigte in aussagekräftigen kurzen Videos, wie strukturierte und von Fachwissen und Liebe zum Menschen getragene schulische Arbeit aussehen kann. Dabei wurde auch die Diskrepanz zwischen den gebotenen Möglichkeiten und dem tatsächlichen Bedarf sichtbar. Im derzeitigen System stehen den LehrerInnen für 377 autistische SchülerInnen, die derzeit im MBS erfasst sind, nur 9 Mentorinnen zur Seite. Wenn man bedenkt, dass etwa ein Prozent der Kinder eines Geburtenjahrgangs dem Autismus-Spektrum zuzuordnen sind, werden die fehlenden Ressourcen sichtbar.
In den Bundesländern sind derartige Angebote überhaupt erst seit kurzem im Aufbau.
Interdisziplinäre Herauforderung
Wenn auch allen TeilnehmerInnen des diesjährigen Autismusforums bewusst geworden ist, dass sich etwas bewegt in Österreich und international, so bleibt doch noch viel zu tun. Wichtige Schritte und Forderungen sind teilweise noch völlig unerfüllt.
Es mangelt an echter interdisziplinärer Zusammenarbeit an wichtigen Stellen. Besonders im Argen ist die Situation im Hinblick auf die Krisenintervention. Noch immer gibt es zu wenige Anlaufstellen, wo Eltern Hilfe und Schulung finden.
Dr. Anton Diestelberger zu den jüngsten Entwicklungen und Zielsetzungen: „Die Vernetzung in Österreich beginnt langsam zu greifen, aber bis die Vision einer gemeinsamen Dachorganisation unter dem Namen „Autismus Austria“ Wirklichkeit werden kann, ist es noch ein weiter Weg. Auch im Bereich der Ausbildung von PädagogInnen besteht nach wie vor akuter Handlungsbedarf. Aber es kommt Bewegung rein!“
Rainman’s Home plant 2016 im Rahmen des 25jährigen Bestandsjubiläums eine Reihe von weiteren Schritte. Das nächste Autismusforum ist für 2017 geplant.
Quelle: Forschungsverein Rainman’s Home
AutorIn: Forschungsverein Rainman’s Home
Zuletzt aktualisiert am: 16.06.2017
Artikel-Kategorie(n): News, Soziale Arbeit und Begleitung
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