Mit dem kommenden Schuljahr werden Höhere Lehranstalten für Sozialbetreuung und Pflege (HLSP) sowie neue Fachschulen für Sozialberufe vom Schulversuch ins Regelschulsystem überführt. Behindertenarbeit.at hat mit den beteiligten Schulen gesprochen.
Am 10. Oktober fiel der einstimmige Beschluss im Unterrichtsausschuss des Nationalrats: Ab dem Schuljahr 2023/2024 sollen Höhere Lehranstalten für Sozialbetreuung und Pflege, kurz HLSP, sowie neue dreijährige Fachschulen für Sozialberufe mit Pflegevorbereitung im Regelschulwesen verankert werden. Die 5-jährige HLSP reiht sich damit neben HTL, HAK, HLW oder BAfEB und kombiniert den Maturaabschluss mit der Ausbildung zur Pflegefachassistenz bzw. alternativ zur Diplomsozialbetreuer:in. Einen anderen Weg zur Pflege(fach)assistenz bieten die dreijährigen Fachschulen für Sozialberufe mit Pflegevorbereitung, welche nach der Pflichtschule oder berufsbegleitend absolviert werden können.
Seit zwei Jahren läuft ein Schulversuch an 12 Privatschulen. Mit der Überführung ins Regelschulwesen steht es künftig auch Bundesschulen frei, diese Schulformen anzubieten. Der Ausbau wurde im Rahmen der Pflegereform begeistert verkündet – mit Verweis auf den großen Pflegekräftemangel in Österreich. Beteiligte Schulen des Schulversuchs zeigen sich jedoch vielfach kritisch, wie Behindertenarbeit.at auf Nachfrage bei mehreren Standorten erfahren durfte. An der Bedeutsamkeit der Ausbildung zweifelt niemand, sehr wohl jedoch an der „vorzeitigen“ Überführung ins Regelschulwesen, mit der viele offene Fragen einhergehen. Auch seitens der Opposition wurde bereits Kritik geäußert.
Attraktive Ausbildung, aber bisher mäßiges Interesse
Die Kombination einer vollwertigen Pflege- oder Sozialbetreuer-Ausbildung mit Matura stellt eine völlige Neuheit dar. Jede HLSP benötigt hierzu einen Kooperationspartner aus dem Pflegebereich. „Es war ein harter Weg, die klar geregelte Ausbildung zur Pflegefachassistenz mit dem starren Bundesschulgesetz zu vereinen. Der Anfang war wirklich schwer, aber wir haben es gut geschafft“, spricht ein Pflegeschul-Abteilungsleiter über die anfänglichen Schwierigkeiten der Zusammenarbeit.
Der Abschluss an einer HLSP eröffnet Absolvent:innen jedenfalls viele Wege. So ist ein direkter Berufseinstieg möglich, aber auch ein Hochschulstudium. Ein FH-Studium der Gesundheits- und Krankenpflege kann mit einem HLSP-Abschluss sogar um ein Jahr verkürzt werden. Von politischer Seite wurde die Ausbildung zusätzlich mit dem Ausbildungszuschuss von 600 Euro für jedes Praktikumsmonat attraktiver gemacht.
Andrang hält sich in Grenzen
Dennoch hält sich der Andrang der Schüler:innen bisher in Grenzen, wie Beteiligte des mittlerweile zweijährigen Schulversuchs berichten. „Pflege- und Sozialberufe hatten es immer schon schwer, die Pandemie hat die Probleme des Berufsfeldes nochmals stärker aufgezeigt und verschärft. Man hört ständig von Überforderung und Fachkräftemangel, viele junge Menschen schreckt das ab. Wenn man eine so fundierte Ausbildung macht, möchte man auch so arbeiten, wie man es gelernt hat“, so der Leiter eines Pflegeschulpartners.
Auch von politischer Seite ist man skeptisch: Gänzlich lösen lasse sich der Pflegenotstand mit der Ausbildungsreform nicht, hielt SPÖ-Mandatarinnen Petra Tanzler mit Verweis auf die Rahmenbedingungen des Pflegeberufs fest, „es braucht Verbesserungen der Arbeitssituation“.
„Nur weil es mehr Schulen gibt, wird es nicht automatisch mehr Schüler:innen geben“
Insgesamt 357 Mio Euro nimmt der Bund für den Ausbau der neuen Schulformen in die Hand. „Bis zu 8000 Ausbildungsplätze im Vollausbau“ werde es laut Bildungsminister Polaschek geben.
Direktoren des Schulversuchs stehen diesen Zahlen teils kopfschüttelnde gegenüber. „Nur weil es mehr Schulen gibt, wird es nicht automatisch mehr Schüler:innen geben. Wer Statistiken lesen kann, sieht sofort, dass der Bedarf an noch mehr Schulen nicht vorhanden ist. Es wäre vielmehr wünschenswert, wenn die aktuellen Schulversuche unterstützt und gefördert werden. Diese haben schließlich die ganze Vorarbeit geleistet“, so die Direktorin eines Schulversuch-Standortes.
Die genaue Standortwahl der neuen Schulen ist noch offen, laut Medienberichten werde man auf eine gerechte bundesweite Verteilung achten. Seitens der Schulversuchs-Schulen wird durch den Ausbau jedoch ein Konkurrenzkampf befürchtet, der „dazu führen wird, dass sich Schüler:innen die günstigste Schule aussuchen. Und das sind sicher nicht die privaten Schulversuchs-Schulen, obwohl wir die meiste Erfahrung haben“, erzählt uns ein Direktor.
„Trend zu Pflegefachassistenz“, „Sozialbetreuung hat nach wie vor „weniger Wertigkeit“
Die Ausbildung an der HLSP sieht ab dem dritten Schuljahr grundsätzlich eine Spezialisierung vor, die entweder zum Abschluss als Pflegefachassistenz oder als Diplomsozialbetreuer:in führt. Die Entscheidung muss jedenfalls bereits im ersten Jahr fallen, um rechtzeitig mit dem Kooperationspartner planen zu können. Nicht alle Standorte bieten beide Schwerpunkte an, teils aufgrund fehlender Partnerschulen oder aufgrund zu geringer Schüler:innenzahlen.
Mancherorts haben sich auch die Länder, die im Allgemeinen für den Pflegebereich zuständig sind, dafür entschieden, ausschließlich den Ausbildungsweg zur Pflegefachassitenz anzubieten. „Man liest immer nur vom Mangel an Pflegefachkräften, die Sozialbetreuer:innen werden da schlicht vergessen, obwohl der Bedarf genauso groß ist. Und es ist leider immer noch so, dass Sozialbetreuer:innen nicht die gleiche Wertigkeit zukommt wie Pflegepersonal. Das ist sehr schade“, erzählt eine Direktorin.
Auch bei Schulen, welche beide Ausbildungsschwerpunkte anbieten „zeigt sich ein klarerer Trend zur Pflege. Etwa 2/3 entscheiden sich für die Pflegefachassistenz, 1/3 für den Abschluss als Sozialbetreuer“, erzählt ein Schulleiter.
Ohne geplante Evaluierung vorzeitig ins Regelschulwesen
Auf zwei Jahre Erfahrung kann der Schulversuch nun zurückblicken. Zwei herausfordernde Schuljahre, die Großteils in Zeiten der Pandemie stattfinden mussten. Absolventen der 5-jährigen Ausbildung wird es frühestens in drei Jahren geben. „Bereits zu Beginn war klar, bevor der Schulversuch ins Regelschulsystem übergehen kann, muss dieser evaluiert werden. Nach drei Jahren sollte die Evaluation durchgeführt werden, dies wurde vertraglich festgelegt“, erzählt ein Schulleiter.
Nachdem die Überführung ins Regelschulwesen bereits für 2023/24 angekündigt ist, wird die Evaluierung wohl erst nachträglich einfließen können. Kritik an der voreiligen Erstellung des Gesetzesentwurfs äußerten auch SPÖ, FPÖ und NEOS. Zentrale Fragen zur Umsetzung der neuen Schulformen, etwa zu Lehrpersonal und Pflichtpraktika, seien nicht ausreichend behandelt worden, so die Opposition.
Unsicherheit besteht auch seitens der bisherigen Schulversuche: „Es gibt keine seriöse Antwort darauf, wie sich das konkret entwickeln wird. Das weiß einfach keiner. Ich bin wirklich gespannt“, bringt ein Direktor die offenen Fragen auf den Punkt.
Quellen:
Unterrichtsausschuss bringt neue Angebote zur Pflegeausbildung | OTS | 11.10.2022
www.ots.at/presseaussendung/OTS_20221011_OTS0097
Höhere Lehranstalt für Sozialbetreuung und Pflege mit Matura ab 2020/21 in Gaming
www.behindertenarbeit.at/?p=75151
AMS Ausbildungskompass
https://www.ausbildungskompass.at/ausbildungen/107316-hoehere-lehranstalt-sozialbetreuung-und-pflege
Schulorganisationsgesetz, Schulunterrichtsgesetz u.a.
www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/ME/ME_00218/index.shtml
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AutorIn: Redaktion
Zuletzt aktualisiert am: 30.10.2022
Artikel-Kategorie(n): Bildungsnews, News
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