Das Vorhaben der Regierung, Zentrale Anlaufstellen für Menschen mit Behinderung einzurichten, birgt viele Chancen in sich, kann aber auch gehörig schief gehen. Ein Kommentar von Thomas Stix.
Ein gemeinsamer Entschließungsantrag im Parlament hat vergangene Woche den Sozialminister aufgefordert, „Zentrale Anlaufstellen für Menschen mit Behinderung“ – modern ausgedrückt „One-Stop-Shops“ – einzurichten, die es behinderten Menschen erleichtern sollten, im Behörden- und Ämterwirrwarr zurecht zu kommen. Im Kern eine sehr löbliche Idee, die Umsetzung muss jedoch richtig gemacht werden.
Schnellschuss muss vermieden werden
Zu befürchten ist, dass jetzt schnellschnell ein Logo und eine flotte Brand kreiert werden unter der dann eine Heerschaar frischer Sozialarbeiter in neuen Büros verteilt auf ganz Österreich auf das Eintrudeln behinderter Menschen warten. Die werden frohgemut empfangen, und nachdem sie 10 Seiten Datenschutz-Informationen unterschrieben haben, kann es losgehen. Und ich kann mit großer Sicherheit sagen, dass diese Beratungen keine besondere Qualität haben werden und es im Endeffekt drauf hinauslaufen wird, dass man wieder zu einer anderen Stelle weitervermittelt wird.
Warum ist das so? Weil die gesamte Behindertenhilfe und alles rundherum ein extrem komplexer Bereich ist, wo es unmöglich ist, sich überall auszukennen. Das hat mit den verschiedenen komplizierten Gesetzen und Verordnungen genauso zu tun wie mit der nicht immer klaren Umsetzungspraxis. Dazu kommen dann noch die unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern.
Einfach ein Formular ausfüllen reicht nicht
Und es ist ja nicht damit getan, einfach mal irgendein Formular auszufüllen. Es geht in einer Beratung zuerst einmal darum herauszufinden, was die Person eigentlich will und braucht und welche Möglichkeiten es gibt. Oft wissen die Betroffenen ja gar nicht, welche Unterstützungsmöglichkeiten (finanziell oder auch anders) in welcher Lebenslage es gibt. Dazu kommt, dass sich Menschen oft schämen, Hilfe anzunehmen oder sich zuzugestehen, dass es in Ordnung ist, Hilfe anzunehmen. Für solche Gespräche braucht es Empathie und Zeit. Peer-Beratung bietet diese Möglichkeiten.
Vorhandene Strukturen nutzen
Und deshalb hoffe ich, dass dem Sozialminister bewusst ist, dass das Rad nicht neu erfunden werden muss. Solche „One-Stop-Shops“ gibt es nämlich im Prinzip schon, es sind die in Österreich überall tätigen Peer-Beratungsstellen, wie Knackpunkt in Salzburg, SLI und WIBS in Tirol, BIZEPS und NINLIL in Wien oder auch die WAG in Wien/NÖ/Bgld und der ÖZIV in ganz Österreich, um nur einige zu nennen.
Die Peer-Beratungsstellen leisten eine enorme Arbeit, die leider selten im Focus steht und viel zu wenig geschätzt wird. Wenn die Regierung nun Anlaufstellen für Menschen mit Behinderung schaffen möchte, dann bitte nicht neue Verwaltungsstrukturen aus dem Boden stampfen, die für noch mehr Unübersichtlichkeit sorgen, sondern vorhandene – gute, alt bewährte – Strukturen ausbauen und erweitern. Das macht nachhaltig Sinn und hilft allen behinderten Menschen, die Rat und Hilfe brauchen.
Quelle:
Pressedienst der Parlamentsdirektion – Parlamentskorrespondenz via APA OTS | 14.05.2021
Presseaussendung vom 14.05.2021 | Parlament: TOP im Nationalrat am 20. Mai 2021
AutorIn: Redaktion
Zuletzt aktualisiert am: 26.05.2021
Artikel-Kategorie(n): News, Selbstbestimmtes Leben
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