Behinderte KundInnen sollen auf Wunsch des Wirtschaftsbund-Präsidenten weitere 4 Jahre auf zugängliche Geschäfte warten.
Von Unverständnis bis Entrüstung reichten die Reaktionen auf die jüngste Forderung des Wirtschaftsbund-Generalsekretärs Peter Haubner, dass die Frist, bis zu der bauliche Barrieren bei Gebäuden (Lokalen, Geschäften) der privaten Wirtschaft beseitigt sein müssen, von 2016 auf 2019 verlängert werden soll. Er verlangt eine entsprechende Novellierung des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes.
Gesetz schreibt Barrierefreiheit bis Anfang 2016 vor
Innerhalb von 10 Jahren sollten alle öffentlichen Gebäude und Verkehrsmittel barrierefrei und auch für Rollstuhlfahrer erreichbar sein. Das hat das Parlament im Jahr 2006 beschlossen. Das gleiche sollte auch für Unternehmen gelten, die private Dienstleistungen anbieten.
2010 kam dann die viel kritisierte Fristverlängerung für öffentliche Gebäude, die nun z.T. bis 2019 Zeit haben, barrierefrei gestaltet zu werden. Diese Fristverlängerung war Teil des damaligen Sparbudgets und wurde von Sozialminister Hundstorfer durchgesetzt.
Wirtschaftsbund will Fristverlängerung auch für Privatwirtschaft
Nun fühlt sich die Wirtschaft benachteiligt gegenüber der öffentlichen Hand. Sie wünscht ebenfalls eine Fristerstreckung bis 2019. Peter Haubner argumentiert dies in einer Aussendung so:
„Durch das momentane Gleichstellungsgesetz und dessen Übergangsbestimmungen wird jedoch die gewerbliche Wirtschaft gegenüber der öffentlichen Hand benachteiligt. Während der Bund bis 31.12.2019 Zeit hat, bauliche Barrieren in öffentlichen Gebäuden zu beseitigen, müssen die heimischen Wirtschaftstreibenden bereits bis 31.12.2015 ihre für Kunden zugänglichen Räume barrierefrei machen. Das aktuelle Gesetz führt daher zu Verunsicherung, finanziellen Belastungen und einer eindeutigen Benachteiligung der heimischen Unternehmer.“
Behindertenvertreter empört
Fassungslos zeigen sich behinderte Menschen anlässlich dieser Forderung einer weiteren Fristverlängerung. In einem „Offenen Protestbrief gegen die beabsichtigte, fortgesetzte Diskriminierung behinderter Menschen“ schreibt der Journalist und Behinderten-Aktivist Manfred Fischer:
Der Wirtschaft wurde im Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz 2006 eine Übergangsfrist von 10 (in Worten: ZEHN) Jahren eingeräumt, damit Betriebe die barrierefreie Zugänglichkeit ihrer Geschäftsräume einrichten können – von 2006 bis 2015! Diese lange Übergangsfrist wurde vom Großteil der österreichischen Wirtschaft und ihrer Interessensvertretung einfach ignoriert. […]
Ihre [Wirtschaftsbund, Anm. d. Red.] „Initiative“ zeigt auch, dass Sie das Kundenpotential behinderter Menschen, d.s. 15% der Bevölkerung, nicht erkennen. Die längst überfällige barrierefreie Gestaltung von Geschäftsräumen wäre in zweierlei Hinsicht ein Impuls für die Wirtschaft. Erstens brächte dies Aufträge für die Bauwirtschaft und zweitens neue Kunden in barrierefreie Geschäfte.
Der Dachverband ÖAR weist in einer Aussendung darauf hin, dass barrierefreie Geschäfte allen zugute kämen. ÖAR-Präsident Voget betont:
„Wie lange sollen sich Menschen mit Behinderungen noch in Geduld üben und vertrösten lassen bis alle baulichen Barrieren auch z.B. in der Gastronomie beseitigt werden? Menschen mit Behinderungen möchten als Kundinnen und Kunden von der österreichischen Wirtschaft ernst genommen werden. Zudem kommen barrierefreie Geschäftslokale allen zugute! Eine Verschiebung der Umsetzung durch die Wirtschaft wäre inakzeptabel“
Im Parlament liegt bis jetzt noch keine Gesetzesnovelle vor. Bleibt im Sinne der behinderten Menschen in Österreich zu hoffen, dass die Gesetzgeber einen derartigen vom Wirtschaftsbund geforderten Rückschritt nicht umsetzen werden.
AutorIn: Redaktion
Zuletzt aktualisiert am: 16.06.2017
Artikel-Kategorie(n): Gleichstellung und Antidiskriminierung, News
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