Von 2003 bis 2006 wurde im Rahmen des EU-Projektes IBB (Integrative Behindertenbetreuung) ein inklusives Trainingsmodell entwickelt, um Menschen mit Lernschwierigkeiten zu pädagogischen AssistentInnen („disability care workers“) auszubilden. Damit können Menschen mit Lernschwierigkeiten und Behinderung erstmals eine Berufsausbildung im Sozialbereich absolvieren.
Die Lebenshilfe Graz und Umgebung – Voitsberg übernahm die Projektleitung und arbeitete gemeinsam mit anderen europäischen Einrichtungen zu dem Thema, die über das nötige Wissen und Können für die verschiedenen fachlichen Aufgaben verfügen. Der Sozial- und Behindertenbereich als mögliches Arbeitsfeld war Menschen mit Behinderung bisher nicht zugänglich und hat dementsprechend auch keine Tradition in Europa. Um diesen neuen Weg zu beschreiten sind geeignete Unterstützungssysteme erforderlich, welche auch die ArbeitgeberInnen und das Team am neuen Arbeitsplatz einbeziehen. Auf diesem Weg entstand die Idee für das Nachfolgeprojekt IBB2, das von 2010 bis 2012 läuft.
Die besondere Herausforderung dabei ist, dass Menschen mit Behinderungen nicht mehr KlientInnen sind, sondern zu Kolleginnen und Kollegen werden. Die Schaffung integrativer Teams führt zu einer Win-Win- Situation für alle TeilnehmerInnen:
- Zugang zum Sozialbereich als neues Arbeitsfeld für Menschen mit Lernschwierigkeiten
- Perspektivenerweiterung durch die Schaffung integrativer Teams, die alle TeilnehmerInnen umschließt
- Beitrag zur Gesellschaft durch das Forcieren von Diversity Management.
Um Menschen mit Lernschwierigkeiten einen erfolgreichen Berufseinstieg in den Sozialbereich zu ermöglichen, bedarf es der Vorbereitung ihres zukünftigen Arbeitsumfeldes. Zu diesem Zweck entwickeln die Projektpartner derzeit ein Curriculum für das Training von „Diversity Coaches“. Diversity Coaches sind im Rahmen des IBB2 Projektes zum Thema Diversitätsmanagement und Mentoring für Menschen mit Lernschwierigkeiten geschult worden. Ihre Aufgabe besteht darin, das zukünftige Team von FachsozialhelferInnen (Menschen mit Lernschwierigkeiten) in Diversität zu schulen und sie somit auf den Arbeitseinstieg vorzubereiten. In einem weiteren Schritt trainieren sie eine/n zukünftige/n Arbeitskollegen/in des Menschen mit Lernschwierigkeiten in Mentoring. Sie leiten den Mentoringprozess vor Ort an und unterstützen somit Mentor und Mentee.
Isabell Supanic traf die Projektleiterin von IBB2 Frau Mag. Cornelia Coppola in Graz und stellte ihr einige Fragen zu Erfahrungen aus dem ersten inklusiven Ausbildungslehrgang, Herausforderungen des Projekts, Jobchancen und einiges mehr…
Wie ist die Idee ein solches Projekt zu starten entstanden? Im Bericht der Grundlagenforschung IBB ist zu lesen, dass die Lebenshilfe Graz und Umgebung – Voitsberg zunächst eine Umfrage gemacht hat. Aufgrund der Ergebnisse wurde dann beschlossen, an dem europaweit vernetzten Projekt teilzunehmen. Wie sahen die Ergebnisse aus?
Ja genau, das stimmt. Antragsteller war die Lebenshilfe. In einer Erhebung wurde festgestellt, dass im Betreuungsbereich, sei es Wohnen oder der Werkstättenbereich, immer schon ganz viele Menschen mit leichteren Behinderungen mithelfen. Sie helfen ihren KollegInnen in der Werkstatt oder in der Wohngemeinschaft und sind dabei total sensibel im Umgang miteinander. Mir persönlich ist das auch im Teilzeitbetreuten Wohnen aufgefallen. Ich betreute unter anderem einen Mann um die 45, der irrsinnig sensibel reagierte wenn seine MitbewohnerInnen etwas gebraucht haben. Er hat dann zum Beispiel immer allen hinterher telefoniert um sie an Besprechungen zu erinnern. Er hat insgesamt viele Aufgaben von BetreuerInnen übernommen.
Wie schwer oder leicht war es eine Bildungseinrichtung zu finden, die an dem Projekt teilnimmt und sich bereit erklärt erstmals einen inklusiven Unterricht im Bereich der FachsozialhelferInnen Ausbildung durchzuführen?
Die Caritas war schon bei der Idee und bei der Formulierung des Projektantrages mit an Board. Das Ausbildungszentrum Wielandgasse der Caritas hat sich ganz viel mit eingebracht. Und die Kontakte zwischen Lebenshilfe und dem Ausbildungszentrum bestehen ja seit jeher. Viele ehemalige AbsolventInnen der Wielandgasse sind bei der Lebenshilfe GUV tätig.
Ursprünglich gab es rund zwanzig InteressentInnen für die Integrative Berufsausbildung und nur vier konnten die Ausbildung beginnen.
Ja, das stimmt. Weil es vom Personal ganz viel didaktische Vorbereitung braucht und weil gerade im Sozialbereich die Arbeitsplätze sehr rar sind, wäre das unverantwortlich gewesen wenn mehr Leute die Ausbildung begonnen hätten. Sonst stehen sie nach der zweijährigen Ausbildung da und finden nichts. Dann lieber wieder in zwei Jahren die nächsten TeilnehmerInnen aufnehmen und schauen wie die Lage bis dorthin ausschaut. Aber wie gesagt, InteressentInnen gibt es sehr viele. Von dem her, glaube ich, haben wir schon viel bewegt.
Wie erfahren denn die Leute von der Ausbildung? Wie wurde das publik gemacht?
Es wurde über die Schule ausgeschrieben. Wenn man auf die Homepage des Ausbildungszentrums Wielandgasse geht, findet man das Angebot der IBB und darüber hinaus wann es wieder startet und welche Voraussetzungen man haben muss.
Welche Voraussetzungen müssen InteressentInnen mitbringen?
Über 17 Jahre alt, Lernschwierigkeiten, belastbar zu sein, Lust haben mit anderen Menschen zu arbeiten, sich in andere Personen hineinfühlen können, mindestens 4 Stunden aufmerksam sein können, bereit sein 2 Jahre in die Schule zu gehen, ein Vorpraktikum in einer Einrichtung der Behindertenhilfe zu machen.
2006 war das IBB Projekt abgeschlossen. Wie hat sich der Übergang zur IBB2 gestaltet?
Genau, 2006 stand der theoretische Teil. Anschließend gab es die ersten Menschen mit Lernschwierigkeiten, die diese Ausbildung begonnen haben. Am 4. Juli 2011 haben die ersten drei AbsolventInnen den Lehrgang sehr erfolgreich abgeschlossen.
Die Idee zur Weiterführung des Projekts kam am Ende der ersten Projektphase. Unsere Erfahrungen aus der IBB und die Erfahrungen die wir bei der Begleitung der Menschen mit Lernschwierigkeiten während der Berufsausbildung gemacht haben, waren ausschlaggebend für eine Weiterführung. Die Langzeitpraktika haben ergeben, dass vor allem das Arbeitsumfeld Probleme mit den zukünftigen FachsozialhelferInnen hat. Das war zumindest damals so. Vor allem ist immer wieder klar herausgekommen, dass für die BetreuerInnen dieser Wechsel zwischen ehemaligen KundInnen zu KollegInnen sehr schwierig ist/war. Aufklärungsarbeit zu leisten ist diesbezüglich ein Muss. Die Sache darf nicht wieder in der Schublade verschwinden. Dass ist die wahre Herausforderung. Es darf nicht heißen ‚du bist ein/e aufgewertete/r Betreute/r’. Es gilt ein langfristiges Umdenken zu schaffen.
Sie haben bereits die Herausforderung des Paradigmenwechsels vom Betreuten zum Betreuer erwähnt. Hatten die FachsozialhelferInnen dieselben Bedenken wie die MitarbeiterInnen der Behinderteneinrichtungen?
Dass war das Spannende! Die FachsozialhelferInnen waren viel euphorischer. Im Zuge der Befragungen ist dann heraus gekommen, dass viele ihrer KollegInnen (MitarbeiterInnen der Behindertenhilfe, Anm. Supanic) in der Zusammenarbeit mit ihnen verunsichert waren. Es wurde beobachtet, dass seitens der BetreuerInnen versucht wurde gewisse Arbeiten die niemand von ihnen machen wollte, den FachsozialhelferInnen aufzuhalsen. Weiters wurden sie nicht so gut ins Team integriert. Da war schon eine Barriere da. Es gab viele Unklarheiten und generelle Unsicherheit unter den BetreuerInnen: ‚Was machen die jetzt da, wo gehören die hin und wie soll das funktionieren?’ Es hat sich bestätigt, dass es ein klares Tätigkeitsprofil für die FachsozialhelferInnen braucht. Was können sie leisten? Wo können wir sie einsetzen? Sie sind bezahlte Arbeitskräfte, sollen genauso ihre Arbeit im Team leisten als gleichwertige ArbeitskollegInnen und Entlastung in das Team bringen. Das ist die Herausforderung.
Das anfängliche Problem mit dem Tätigkeitsprofil haben wir jetzt schon gelöst indem wir für jede/n Absolventen/in ein Tätigkeitsprofil schreiben bzw. geschrieben haben, das sie mit auf den Weg bekommen. Wir unterstützen sie so beim Einstieg. Die zukünftigen ArbeitgeberInnen wissen dann schon wo sie sie einsetzen können und was genau sie gelernt haben. Sie bringen also ein Kompetenzprofil für die verschiedenen Bereiche mit. Zusätzlich erhalten sie von ihrer Ausbildungsstätte eine verbale Beurteilung, die ihre Stärken aufzeigt.
Also ist es doch so, dass viele Organisationen noch nicht mit dem Gedanken zu Recht kommen behinderte Menschen als BetreuerInnen zu beschäftigen?
Das stimmt, der Paradigmenwechsel gestaltet sich schwierig. Man muss sich vorstellen, dass Leute, die seit vielen Jahren in der Behindertenbetreuung arbeiten, auf einmal komplett umdenken müssen. Die Gefahr, dass sie dann den/die neue/e Kollegen/in weiterhin betreuen wollen und Unterschiede machen ist auf alle Fälle gegeben. Gerade da braucht es Zeit und Aufklärungsarbeit im Vorfeld. Andererseits auch wieder nachvollziehbar wenn man weiß, dass sie 10 Jahre ‚ihre’ KundInnen betreut haben und sich die Rollen dann plötzlich verändern.
Glauben Sie, dass die Befürchtungen seitens der Einrichtungen jetzt eher in der Zusammenarbeit mit behinderten Menschen bestehen oder geht es da hauptsächlich um Personalschlüssel. Nach dem Motto ‚wenn ich es mir aussuchen kann, dann nehme ich lieber eine nicht behinderte Person die ich Vollzeit anstellen kann.’?
Überall muss gespart werden, überall werden Zahlen kontrolliert. Natürlich ist es dann auch für die Einrichtungen unter Anführungszeichen ein großer Schritt, dass als erstes zu probieren. Man darf das nicht vergessen. Dass ist ja ein Pilot. Wie das dann wirklich funktioniert in der Umsetzung und natürlich für das Team, wird sich zeigen. Man muss es probieren und erleben. Wir können nur schauen, dass wir soweit als möglich unterstützen.
2008 hat Österreich die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ratifiziert. Wie sehen Sie die gelebte Praxis diesbezüglich?
Die rechtlichen Rahmenbedingungen hätten wir eigentlich. Sicher kann man noch genug machen, aber es wäre schon mal nicht so wenig da. Der Punkt ist, dass die Theorie und die Praxis weit auseinander klaffen. Es heißt auch hier in der Steiermark dass Menschen mit Behinderung das Recht haben einer geregelten Arbeit nachgehen zu können – wenn’s aber keine Plätze gibt. Wenn Arbeitgeber auch gar nicht bereit sind und lieber eine Ablöse zahlen, damit sie niemanden einstellen müssen, dann hilft das ganze Geschriebene nichts. Dass ist das Problem.
Glauben Sie, dass hier die Diversity Coaches entgegenwirken können? (Diese sollen zu einem erfolgreichen Berufseinstieg beitragen indem sie sowohl Ansprechpartner für die FachsozialhelferInnen als auch für den zukünftigen Arbeitgeber sind.) Wer finanziert die D.C.?
Die D.C. werden über das Projekt finanziert. Da würden wir natürlich auch gerne mehr machen, aber auch hier ist die finanzielle Seite nicht zu vernachlässigen. Die Diversity Coaches sind unabhängige Personen die von außen in die Betriebe kommen. Sie erarbeiten was es heißt mit einem behinderten Kollegen zusammen zu arbeiten. Sie machen sichtbar, welche Stärken der Mensch mit Lernschwierigkeit mitbringt. Sie erarbeiten, was man berücksichtigen muss. Das ist der erste Schritt. In einem zweiten Schritt wird ein/e Mitarbeiter/in des Vertrauens des/der Fachsozailhelfers/in im Mentoring geschult. Und dass soll dazu beitragen, dass der/die Fachsozialhelfer/in längerfristig einen direkten Ansprechpartner hat. Eine Vertrauensperson im Team, der die Strukturen kennt in der Firma und der Konflikten vorbeugen kann, wenn es nötig ist. Die Diversity Coaches machen Aufklärungsarbeit und man bleibt immer in Kontakt zueinander. Es soll keine längerfristige Begleitung sein. Ziel ist die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der FachsozialhelferInnen. Wir rechnen schon damit, dass es am Anfang einen Bedarf an Diversity Coaches geben wird.
Welche Erfahrungen wurden Ihnen zur gemeinsamen, inklusiven Schulausbildung rückgemeldet?
Ich habe mit jemandem gesprochen der im integrativen Klassenverband mit den ersten AbsolventInnen war. Er hat gesagt, dass es ein Wahnsinn ist, wie sich die drei entwickelt haben. Vom Auftreten her, vom Selbstbewusstsein und dass ist schon schön, wenn man das hört. Dann gab es noch eine, die das letzte Jahr mit ihnen in der Klasse war. Sie meinte, dass die drei so gewachsen sind, menschlich. Und ich denke mir, dass ist eigentlich das Schöne. Und da müssen wir jetzt halt wirklich schauen, dass es so weitergeht. Dass es da nicht irgendwie eine Enttäuschung gibt.
Gibt es für die AbsolventInnen schon fixe Jobzusagen oder fängt jetzt erstmal die Bewerbungsphase an?
Es fängt jetzt die Bewerbungsphase an. Teilweise ist man in Verhandlungen; wir unterstützen sie dabei. Auch eine andere Einrichtung in Graz, die Arbeitsassistenz anbietet ist unterstützend mit dabei. Die AbsolventInnen haben ja sehr gute Rückmeldungen von ihren Langzeitpraktika bekommen. Von daher sind die auch eine Anlaufstelle für uns.
Entlohnt werden die FachsozialhelferInnen mit der Gehaltsstufe 3 nach BAGS Kollektivvertrag. Nach welchen Kriterien wurde die Einstufung vorgenommen?
Die Einstufung wurde von der Lebenshilfe in Zusammenarbeit mit dem Dachverband der steirischen Behindertenhilfe vorgenommen. Die Orientierung lag an der Einstufung des/der Behindertenhelfers/in, der in dieser Stufe verankert ist. Vom Tätigkeitsprofil passt das. Die FachsozialhelferInnen decken sozusagen Assistenzleistungen ab. Dass heißt, sie können einiges machen aber es soll schon jemand vor Ort sein.
Sind noch andere Bundesländer daran interessiert, das Modell der IBB zu übernehmen?
Es sind noch Salzburg, Vorarlberg und Südtirol daran interessiert die Ausbildung anzubieten. Es wird auch in Graz wieder einen Durchgang geben. Aufgrund der Sparmaßnahmen haben wir uns selber ein Limit gesetzt und es werden nur wenige die Chance bekommen, die Ausbildung anfangen zu können.
Ich bedanke mich für das Gespräch!
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AutorIn: Isabell Supanic
Zuletzt aktualisiert am: 04.06.2015
Artikel-Kategorie(n): Arbeitsintegration und unterstützte Beschäftigung, News
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