Von 12. bis 14. Dezember 2011 veranstaltete die Lebenshilfe Salzburg im Kongresshaus den Kongress „ich.du.wir – Wir kämpfen um unsere Rechte!“ für und mit Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Etwa 200 TeilnehmerInnen aus Österreich, der Schweiz und Deutschland haben sich dabei mit dem Thema Selbstbestimmung von Menschen mit Beeinträchtigung auseinander gesetzt.
Der Titel des Kongresses 2011 wurde von der Gruppe der SelbstvertreterInnen Österreichs bewusst kämpferisch gewählt. „Wir kämpfen für unserer Rechte“ nimmt Bezug auf nationale Gleichstellungsgesetzgebung und die UN-Konvention zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen, die Österreich am 26. Oktober 2008 ratifiziert hat und nun Bund und Länder in die Pflicht nimmt, Gesetzte anzupassen und Barrieren zu beseitigen.
UN-Konvention für Menschen mit Behinderung,
Artikel 4: Allgemeine VerpflichtungenDie Vertragsstaaten verpflichten sich, die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderung ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu gewährleisten.
Daran anknüpfend formulieren die SelbstvertreterInnen ihre Wünsche an die Gesellschaft. „Wir wollen dabei sein. Wir wollen wahr- und ernst genommen werden!“
Zielgruppe sind Menschen mit Behinderungen, Angehörige, Unterstützer und alle, die mithelfen wollen, unsere Gesellschaft so zu gestalten, dass sie die Rechte aller Menschen respektiert.
Ziel des Kongresses ist es, Selbstvertreter zu stärken, gemeinsam an ihren Zielen zu arbeiten und Wege zu finden ein selbstbestimmtes Leben zu erreichen. Dazu gehört auch im Sinne einer inklusiven Gesellschaft Barrieren im Umfeld und Möglichkeiten für deren Beseitigung aufzuzeigen. Die Betroffenen setzten sich selbst mit ihren Wünschen an eine barrierefreie Gesellschaft auseinander. Barrieren, die im Anschluss Schritt für Schritt beseitigt werden sollen.
Ein Ziel, das gleichzeitig ein Aufruf an die Politik ist und den Kreis zur Umsetzung der UN-Behindertenkrechtskonvention wieder schließt.
Inklusive Arbeitskreise
Die 18 Arbeitsgruppen wurden von einem Mensch mit Beeinträchtigung und einem Unterstützer moderiert und befassten sich mit allen Lebensbereichen und Problemen, mit denen Menschen mit Beeinträchtigung konfrontiert sind. Dabei ging es natürlich um die Kernthemen selbständiges Wohnen und bezahlte Arbeit, vor allem aber auch um die ganz persönlichen Bedürfnisse: Partnerschaft, Sexualität, Freizeit, …
Menschen mit geistiger Beeinträchtigung sind mit vielen Barrieren konfrontiert – tatsächlichen und in den Köpfen der Menschen.
Als Ko-Moderator konnten auch 2 Prominente gewonnen werden: Behindertenanwalt Dr. Erwin Buchinger und Bezirkshauptfrau Dr. Rosmarie Drexler erarbeiten in ihren Arbeitskreisen politische Anliegen.
Ergebnisse und Forderungen
Salzburg ohne Hindernisse – ein Thema, das gerade durch die Auszeichnung Salzburgs mit dem Access City Award 2011 der Europäischen Kommission vor und während des Kongresses auf die Probe gestellt wurde. Schon vor dem Kongress haben wir uns auf die Suche nach barrierefreien Beisln und Restaurants in der Umgebung des Kongresshauses gemacht, um den Kongress-TeilnehmerInnen einen möglichst barrierefreien Salzburg-Aufenthalt zu ermöglichen. Keine leichte Aufgabe, wie sich herausstellte. Denn kein einziges Restaurant hatte einen barrierefreien Zugang und eine Behindertentoilette, bei den Beisln sah es nicht besser aus. Ein einziges Lokal – das über eine Behindertentoilette verfügt – hat sich bereit erklärt, eine Rampe anzubringen, um auch Menschen mit einer Gehbeeinträchtigung den Zugang zu ermöglichen.
Nachdem schon im Vorfeld die O-Busse in Salzburg auf dem Prüfstand waren und das Ergebnis durchwegs positiv ausfiel, hat man während des Kongresses den Salzburger Bahnhof und das Haus der Natur unter die Lupe genommen. Fazit: Der neue Bahnhof ist für Menschen mit einer Mobilitätseinschränkung barrierefrei, nicht aber für Menschen mit mentaler Beeinträchtigung. Wichtig wären ein gutes Leitsystem mit Farben und Symbolen. Besonders wichtig die Forderung: Personal schulen und nicht durch Automaten ersetzten! Im Haus der Natur fiel die Orientierung sehr schwer. Das Haus ist nicht barrierefrei, dafür ist das Personal sehr freundlich und hilfsbereit.
Im Arbeitskreis „Wir haben Rechte! Den Politikern Anliegen und Forderungen übermitteln“, bringt Erwin Buchinger die Forderung nach Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention auf den Punkt: „Die Politik muss man fordern. Ihr müsst lästig sein und ihr müsst laut sein! Jeder kleine Schritt muss erkämpft werden!“ Das Problem ist, dass viele Bestimmungen der UN-Konvention im Bundesrecht schon verankert sind, nicht aber in Landesgesetzen. Hier ist großer Nachholbedarf.
Ein gelungenes Beispiel für einen inklusiven Anlass stellt im Arbeitskreis „Ich mache mit: in der Gemeinde, dem Bezirk mit dabei sein“ Friederike Prospischil vor. In Wiener Neudorf gibt es im Gemeinderat einen Index für Inklusion und die Gemeinde setzt sich konstant mit dem Thema „Vorurteile“ auseinander. Als Mutter eines erwachsenen Sohnes mit schwerer Beeinträchtigung sagt sie: „Für mich ist die Inklusion in der Gemeinde eine große Beruhigung, weil er in einer Gesellschaft leben darf, die ihn so nimmt, wie er ist!“ Krystian Zagorsky von der Lebenshilfe Piesendorf, der den Arbeitskreis mit Bezirkshauptfrau Dr. Rosemarie Drexler leitet wünscht sich barrierefreie Formulare und mehr Möglichkeiten direkt mit den Politikern zu sprechen. „Es soll eine Sprechstunde in einfacher Sprache geben!“
Sonja Stadler ist verheiratet, Mutter zweier Kinder und hat – ebenso wie ihr Mann -eine spastische Lähmung. „Mein Mann hat das gleiche in grün“, sagt sie augenzwinkernd und meint damit die Farbe seines Rollstuhls. Den Alltag meistern sie gemeinsam und mit Unterstützung. Der Arbeitskreis „Weil ich eine Frau bin, nehme ich mein Leben selbst in die Hand“ ist geprägt von starken Aussagen. Auf die Aussage einer Teilnehmerin „Es macht mich wütend, wenn die Leute mich angaffen“, meint Ramona Delmonte: „Wichtig ist, dass wir selbst mit unserer Behinderung umgehen können. Ich möchte mich nicht schämen, die Behinderung gehört zu mir dazu! Ich bin ja gesund und mit meinem Leben zufrieden“. Felize Chai sagt: „Ich bin selbstbewusst, weil meine Mutter immer gesagt hat, du kannst das, du schaffst es. Von Frau zu Frau bestärkt zu werden ist wichtig fürs Selbstvertrauen!“
Ein Kernthema ist und bleibt „Wohnen wo und mit wem ich will“. Ramona Günther, eine Frau mit Beeinträchtigung aus der Lebenshilfe Stuttgart leitet den Arbeitskreis und stellt die Frage: „Wo bleibt die Selbstbestimmung, wenn ich einen Bürgen brauche, um überhaupt eine Wohnung zu bekommen? Eine Teilnehmerin beschreibt ihre Schwierigkeit: „Ich habe meine Wohnung erst bekommen, nachdem sich meine Schwester eingeschaltet hat. Vermieter wollen oft nicht an Menschen mit Beeinträchtigung vermieten“. Eine der wichtigsten Forderungen der Selbstvertreter bleibt daher: Wahlfreiheit beim Wohnen: Wohnen wo und mit wem ich will. Und dazu braucht es die entsprechende Unterstützung.
Aus allen Arbeitskreisen kam ein Aufruf an die Politik:
„Nicht nur reden, sondern handeln“.
Und zwar in allen Lebensbereichen.
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Quelle: Lebenshilfe Salzburg
AutorIn: Lebenshilfe Salzburg
Zuletzt aktualisiert am: 16.06.2017
Artikel-Kategorie(n): Menschen mit Lernschwierigkeiten, News
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