Der experimentierfreudige RTL-Reporter Jenke von Wilmsdorff will alles mögliche wissen, unter anderem auch, wie das so ist, behindert zu sein. Ein Kommentar von Thomas Stix.
Der gute Mann macht nicht lang rum, sondern probiert’s einfach aus: Probier’n geht über studier’n. Das ganze in Form der RTL Doku-Show „Das Jenke-Experiment“. Und da behindert ja nicht gleich behindert ist, schlüpft er in 3 Behinderungsrollen: Erst macht er den Rollifahrer (der Klassiker), danach den „Tauben“ (ja, dieser Begriff wurde verwendet) und schließlich den Blinden.
Ja, klar, man kann von einem RTL-Format kein Niveau erwarten. Aber trotzdem haben mich diese Sendungen wieder Mal verblüfft: So viele Klischees können in kürzester Zeit vermittelt werden! Und so denkt oder will die Masse über Behinderung denken!
„Mit dem Schicksal gut zurechtkommen“
Ja, wir Behinderten sind Weltmeister darin, mit unserem Schicksal umzugehen. Wir sind trotzdem fröhliche Menschen. Wir meistern unseren Alltag trotz unserer Behinderung! Und in der Nacht, da träumen wir, dass unsere Beine funktionieren. Ach, ist das nicht herzzerreissend!
Die wahren Probleme der Behinderten
Wenn man sich, wie Jenke, in einen Rollstuhl schwingt und mit Klettbändern dranfixiert – also richtig an den Rollstuhl gefesselt ist – dann lernt man die wahren Probleme dieser behinderten Menschen kennen: Gehsteigkanten, Stufen in Lokale – ojeoje. Ich will jetzt nicht die Probleme der mangelnden Barrierefreiheit kleinreden, eine schlampig abgeschrägte Gehsteigkante kann schon lästig sein, aber das sind halt diese – meiner Meinung nach – geringeren Probleme, die von der Mehrheit gerne gesehen und dann auch zustimmend kritisiert werden.
Die echten Probleme, die uns behinderte Menschen behindern, können allerdings durch’s Behindert-Spielen keineswegs erfahren werden, die sind umfassender und komplexer – um nicht zu sagen lästiger.
Die echten Schwierigkeiten liegen nämlich etwa im Umgang mit Ämtern und Behörden oder mit politisch Verantwortlichen, denen das Thema egal ist. Die echten Probleme liegen in Gesetzen und Richtlinien, die behinderte Menschen entmündigen und zu Menschen zweiter Klasse machen. Die echten Probleme liegen an den vielen Menschen, die behinderte Menschen zwar dulden aber nicht wirklich dabei haben wollen.
Fazit
Selbst eine Behinderung „auszuprobieren“ kann nur einen sehr kleinen Aspekt von Behinderung zeigen. Dessen soll man sich bewusst sein, wenn man sowas macht bzw. solche „Experimente“ in den Medien sieht. Außerdem werden dabei meistens die negativen Blickpunkte (im Sinne des medizinischen Modells von Behinderung) hervorgekehrt und bedauert. Die Darstellung ist dabei meist fokussiert auf die Behinderung als Defizit an der Person.
Wie Behindertsein ist, kann man in Endeffekt nur wissen, wenn man selbst behindert ist. Ansonsten – wenn man wirklich etwas über Behinderung erfahren will – bleibt noch die Möglichkeit, diverse Fachliteratur zu lesen und… sich mit behinderten Menschen zu unterhalten.
AutorIn: Thomas Stix
Zuletzt aktualisiert am: 16.06.2017
Artikel-Kategorie(n): Kommentare, News, Soziale Arbeit und Begleitung
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