In der Sendung ohne Barrieren Nr. 27 spricht Thomas Stix mit Roswitha Schachinger, der langjährigen Geschäftsführerin der WAG Assistenzgenossenschaft, über Persönliche Assistenz und insb. darüber, wie Assistenz im Dienstleistungsmodell funktioniert und welche Herausforderungen dabei zu bewältigen sind.
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TS: Die Sendung ohne Barrieren ist heute zu Gast bei der WAG Assistenzgenossenschaft und ich hab hier als Gesprächspartnerin die Geschäftsführerin der WAG, die Frau Roswitha Schachinger. Grüß Gott!
RS: Guten Tag!
TS: Es geht heute klarerweise um das Thema Persönliche Assistenz, und speziell um das Thema: Wie wird Assistenz im Dienstleistungsmodell organisiert und wie funktioniert eine genossenschaftlich organisierte Assistenz? Die WAG – jetzt die WAG Assistenzgenossenschaft – hat 2002 begonnen als Wiener Assistenzgenossenschaft. Damals war die politische Situation so, dass Geld ausgegeben wurde für „Arbeit und Behinderung“, würd ich mal so sagen, und da ist dann die WAG aus der Taufe gehoben worden. Wie hat das statt gefunden?
RS: Wie Sie schon gesagt haben, ist die WAG Assistenzgenossenschaft 2002 gegründet worden, damals noch als WAG „Wiener Assistenzgenossenschaft“. Mittlerweile unterstützen wir auch behinderte Menschen bei der Organisation ihrer Persönlichen Assistenz, die in Niederösterreich und Burgenland leben. Deswegen haben wir das „Wiener“ aus dem Namen gestrichen, weil da hätten sich dann die anderen irgendwie diskriminiert gefühlt. Und grundsätzlich war es eben so, dass es 2002 die Möglichkeit gegeben hat, Projekte einzureichen beim Bundessozialamt – das heißt jetzt auch nicht mehr Bundessozialamt, auch die haben den Namen geändert und sind mittlerweile das Sozialministeriumservice – aber da konnten wir eben das Projekt einreichen, weil damals mit dieser „Behindertenmilliarde“ – war damals auch noch in Schilling, es hat sich also viel geändert in diesen letzten 14 Jahren – war es halt einfach so, dass Österreich gesagt hat: was können wir tun, damit behinderte Menschen einen Job finden; und Persönliche Assistenz ist ja was sehr Entscheidendes für behinderte Menschen, um inklusiv in der Gesellschaft zu leben. Und da zum inklusiven Leben auch die Arbeit gehört, wurde dann eben auch mit der Persönlichen Assistenz am Arbeitsplatz gestartet, und das war so der Beginn der WAG.
TS: Und was jetzt interessant ist bei der Gründung: Warum ist das eine Genossenschaft geworden? Das ist ja eher nicht üblich, in Österreich zumindest; da sind es ja meistens Vereine oder gemeinnützige GmbHs… Was war der Grund?
RS: Wir waren damals auch die erste Genossenschaft im sozialen Bereich, das ist wirklich in Deutschland ein bisschen verbreiteter aber in Österreich eben nicht. Uns hat der Gedanke der Genossenschaft sofort gefallen, weil es so wie in der Persönlichen Assistenz so ist, dass man nicht nur Teil des Betriebes ist, sondern die Genossenschafter also die Genossenschaftsmitglieder sind auch die Eigentümer des Unternehmens. Und das ist einfach etwas, was eben sehr gut zur Persönlichen Assistenz gepasst hat. Und deswegen haben wir uns dann für die Genossenschaft entschieden. Wir haben dann im Laufe auch mitgekriegt, dass von der Professionalisierung her, die man halt auch braucht, wenn man ein Unternehmen gründet, auch gut ist, wenn man da Beratung hat und auch eine Revision, die sozusagen geplant ist; aber es hat vor allem zur Persönlichen Assistenz gut gepasst.
TS: Das ist ja überhaupt im Dienstleistungsmodell so, da gibt es einen gewissen Zwiespalt – glaub ich – dass der Assistent / die Assistentin ja nicht direkt bei der behinderten Person angestellt ist, sondern rein formal ist ja die Genossenschaft Chefin, und vom Arbeitsalltag her jedoch ist die behinderte Person der Chef. Wie lässt sich das gut kombinieren, dass es da zu keinen Problemen kommt, bzw. wenn es zu Problemen kommt, wie geht man damit um als formaler Dienstgeber.
RS: Als grundsätzlich sehen wir uns einfach der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung verpflichtet, und wir arbeiten nach den Kriterien der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung, und wenn wir die außer Acht lassen würden so komplett, dann würden wir unsere Daseinsberechtigung verlieren. So seh ich das. Natürlich ist es schon so, dass es da einen gewissen Zwiespalt gibt oder es den geben kann, weil wenn man Arbeitgeber ist, muss man z.B. bestimmte Auflagen und gesetzliche Bestimmungen einhalten, und da müssen wir schon drauf schauen, weil es sonst für die WAG als gesamtes Unternehmen gefährlich werden könnte. Aber grundsätzlich mischen wir uns nicht in die Dienstplangestaltung ein als Unternehmen oder nicht in die Auswahl der Persönlichen Assistent_innen, d.h. wir entscheiden nicht, dass eine bestimmte Person bei einem bestimmten Kunden oder einer bestimmten Kundin arbeiten soll, weil die Personalkompetenz klarerweise bei der Kundin / beim Kunden liegt. Es gibt Bereich, wo wir uns einmischen müssen aus meiner Sicht, aber grundsätzlich kann die behinderte Person selbst entscheiden, wer die Assistenz leistet, wann das passiert, wo das passiert und wer das ist und wie das läuft.
TS: Als Dienstleistungsbetrieb bieten Sie noch mehr an als die reine Persönliche Assistenz, auch diesen Bereitschaftsdienst, der ist ja dann ein bisschen ein Zwischending zw. Assistenz und einer mobilen Hilfe, würd ich mal sagen.
RS: Also grundsätzlich bieten wir nicht nur die Organisation der Persönlichen Assistenz an, sondern zu allererst mal die ganze Beratung rundherum, also das fängt an, wenn eine Kund_in – ich nehm jetzt immer die weibliche Form mit dem Unterstrich, dann tu ich mir leichter – zu uns kommt und fragt: was ist denn Persönliche Assistenz überhaupt? Dann wird da schon einmal Beratung gemacht, ob Persönliche Assistenz das richtige Modell ist, dann wird geschaut welche Unterstützung bei welchen Tätigkeiten wird gebraucht, wie schaut das aus mit der Antragstellung, mit der Finanzierung usw… also alles rundum die Persönliche Assistenz. Und es ist dann auch so, dass es einen Bereitschaftsdienst gibt, für den Fall, dass eine Persönliche Assistent_in krank wird oder irgendwie spontan Bedarf ist. Das wird von manchen so gesehen, dass es ein Zwischending ist; man kann sich nicht mehr genau aussuchen, wer jetzt kommt, aber auch da schauen wir, dass das Team ein stabiles ist, und dass dann nicht, wenn man mehrmals einen Bereitschaftsdienst abruft, dann kommt es sicher auch vor, dass da jemand kommt, der schon mal da war, d.h. auch die lernt man dann kennen, aber grundsätzlich entscheidet man schon, was die Assistent_in macht, wann das sein soll und wie das ablaufen soll. Was in dieser Form ein bisschen eingeschränkt ist, ist dieses „wer“, aber eben gerade dann, wenn man dringend Bedarf hat, wenn man sonst keine Möglichkeit hat entweder auf die Toilette zu gehen oder vielleicht auch nur, irgendwas zu unternehmen, dann kann man sich dafür entscheiden, den Bereitschaftsdienst abzurufen.
TS: Wir haben einen Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention, da steht drinnen, dass es Ende 2014 eine bundeseinheitliche PA-Lösung gibt… da hinken wir hinterher… können Sie etwas dazu sagen?
RS: Ja, es hat seit 2011 Arbeitsgruppen dazu gegeben im Sozialministerium, um die bundeseinheitliche Regelung in die Wege zu bringen und damit endlich zu beginnen, weil es einfach ein unzumutbarer Zustand ist für behinderte Menschen, dass es davon abhängt, wo sie wohnen, ob sie Persönliche Assistenz haben oder nicht, oder auch welche Behinderung sie haben, weil sie haben die Persönliche Assistenz in Wien 2008 auch als Meilenstein bezeichnet, das ist sie auch, nur ist es z.B. so wenn man blind ist, hat man keine Möglichkeit, die Pflegegeldergänzungsleistung für Persönliche Assistenz in Anspruch zu nehmen, oder Menschen mit Lernschwierigkeiten sind auch noch ausgeschlossen. Also unser Ziel muss sein, dass es eine bundeseinheitliche bedarfsgerechte Persönliche Assistenz für alle gibt. Und ja, diese Arbeitsgruppen im Ministerium hat es ab 2011 gegeben… 6 Mal, dann war ein halbes Jahr vor den Wahlen und dann ist es irgendwie wieder nicht mehr… ist sogar die Arbeitsgruppe eingestellt worden, geschweige denn, dass irgendetwas umgesetzt worden ist. Leider, glaube ich, dass wir von dieser bundeseinheitlichen Regelung weiter weg sind, als es vor einigen Jahren ausgeschaut hat. Ich und alle Menschen, die sich in Wien und Österreich für das Menschenrecht auf Persönliche Assistenz einsetzen, arbeiten daran, aber es ist eine politische Entscheidung, und es tut mir sehr weh, dass es noch nicht in Kraft ist.
TS: Frau Schachinger, ich danke für das Gespräch.
RS: Ich danke Ihnen für die Möglichkeit für das Interview. Hat mir sehr Spaß gmacht.
TS: Und wünsche einen Guten Tag!
RS: Danke!
Quelle: Sendung ohne Barrieren
AutorIn: Sendung ohne Barrieren
Zuletzt aktualisiert am: 27.04.2016
Artikel-Kategorie(n): Media Tipp, News
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