Am Mittwoch, den 9. September 2015, organisierte die ÖAR unter dem Motto „Lasst mich tun! Leben im Sinne der UN Behindertenrechtskommission“ einen Nationalen Informationstag zum Thema Persönliche Assistenz (PA). Anna Maria Hosenseidl war für behindertenarbeit.at mit dabei.
Selbstbestimmung für alle Menschen mit Behinderung
Nach einer Begrüßung durch ÖGB Präsident Erich Folgar und ÖAR Präsident Dr. Klaus Voget wurde die Tagung mit einem Vortrag vom Generalsekretär der Lebenshilfe Österreich, Mag. Albert Brandstätter, zum Thema „Existenzsicherung und Bedarfssicherung“ eröffnet. Brandstätter beschäftigte sich mit Perspektiven für Selbstbestimmung und personenzentrierter Unterstützung, Verteilungsgerechtigkeit, Einkommen für Menschen mit Behinderung als Existenzsicherung, voraussetzungslosem bedarfsorientiertem Grundeinkommen sowie bundeseinheitlichem Unterstützungsbedarf. Das von ihm vorgestellte Modell zur Umverteilung soll den Bedarf an PA und finanzieller Unabhängigkeit für Menschen mit Behinderung im Sinne der UN-Behindertenrechtskommission decken.
WAG fordert bundeseinheitliche Regelung für PA
Mitbegründerin und Geschäftsleiterin der Wiener Assistenzgenossenschaft, Roswitha Schachinger, informierte über Persönliche Assistenz in Österreich und inklusive Teilhabe an der Gesellschaft für Menschen mit Behinderung. Mit Artikel 19 der UN Konvention verpflichten sich die Länder, unabhängige Lebensführung und selbstbestimmtes Leben, für Menschen mit Behinderung zu ermöglichen und zu sichern. PA am Arbeitsplatz, in Bundesschulen und im Privatbereich kann Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Leider gibt es noch immer einige Bundesländer, in denen Menschen mit Behinderung nur unzureichend Zugang zu PA haben. Schachinger fordert bedarfsorientierte bundesweite Regelungen für PA im Sinne der Menschenrechte.
BIZEPS fragt: Was ist uns PA wert?
Zur Frage „Was kostet Persönliche Assistenz und was ist sie uns wert?“ referierte BIZEPS-Obmann Martin Ladstätter. Am Beispiel Wien machte er deutlich, dass die Ausgaben für PA in den letzten Jahren zwar gestiegen sind (ca. 12 Mio. Euro im Jahr 2014), jedoch noch immer nicht ausreichend den Bedarf decken. Durchschnittlich werden Menschen mit Behinderung mit 4.700 Euro im Monat für PA unterstützt. Der Bedarf liegt je nach Pflegestufe bei 1.000 bis 8.000 Euro im Monat.
Menschen mit Lernbehinderung, Sehbehinderte und Sehschwäche Menschen werden bisher von PA ausgeschlossen. Hier fordert Ladstätter die Stadt Wien auf, an anderen Stellen (wie bspw. PR) zu sparen und umzuverteilen, damit der Bedarf an PA ausreichend gedeckt werden kann. Ladstätter fragt: Was ist und die PA wert? Seine Antwort scheint simpel: Nicht in einem Heim Leben zu müssen. Selbstbestimmt Leben zu können. Für viele Menschen bedeutet das ein Leben in Würde im Sinne der Menschenrechte.
Sozialminister fordert Länder zum Handeln auf
Bundesminister Rudolf Hundsdorfer schuf in einer kurzen Rede einen kurzen Überblick über die momentane behindertenpolitische Situation bezüglich PA und geplante Projekte zur Förderung selbstbestimmten Lebens für Menschen mit Behinderung. Auch er fordert einheitliche Regelungen bundesweit, macht jedoch auch auf die Schwierigkeit aufmerksam, PA in den einzelnen Bundesländern vergleichbar zu machen und die verschiedenen Projekte und Einrichtungen zu vereinen. Vor allem bei der Integration und Inklusion von Jugendlichen (PA am Arbeitsplatz und in Schulen) sieht er noch Handlungsbedarf.
Was das Thema Barrierefreiheit angeht, so sieht er positive Entwicklungen, vor allem bezüglich Infrastruktur und der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Verbesserungen wünscht er sich im Bereich „vereinfachte Sprache“ im öffentlichen Raum und Barrierefreiheit im Baubereich. Hier möchte er verstärkt mit entsprechenden Arbeitsgruppen zusammenarbeiten.
Zum Thema „PA at home“ wird momentan geklärt, welche Regelungen gefunden werden können, diesen Bereich weiter auszuarbeiten und zu entwickeln. Kommende Finanzausgleichsverhandlungen sollen das Thema schwerpunktmäßig behandeln. Auch inhaltliche Weiterentwicklungen verschiedener Bereiche der PA sollen Bestandteil der Verhandlungen sein.
Kommt bald Persönliches Budget in Salzburg?
Zum Thema „Einschränkungen bei den Zielgruppen“ und „PA für alle Menschen mit Behinderungen“ sprach Landesrat von Salzburg Dr. Heinrich Schellhorn. Am Beispiel der Idee „Selbstbestimmung durch Geld in die Hand“ stellt er ein Modell für Persönliche Assistenz durch persönliches Budget in Salzburg vor. Dies soll für alle Menschen mit Behinderung durchgesetzt werden, unabhängig von der Pflegestufe und somit auch offen für Menschen mit Lernschwierigkeiten und Sehschwäche.
Eine Novelle zum SGB soll die rechtlichen Voraussetzungen schaffen. Eine Allgemeine Bedarfserhebung u.a. zur Konkretisierung des Leistungsumfangs sowohl der Zielgruppe als auch der Organisation.
Im Zuge des Abbaus von vollbesetzten Plätzen und dem Ausbau von teilbetreuten Plätzen, soll PA als ergänzender Baustein genutzt werden. Somit sieht er PA eingebettet in einen Wandlungsprozess hinsichtlich der Wohnsituation von Menschen mit Behinderung. Mehr Durchlässigkeit und Wahlmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung sollen das Ziel sein. Auch Dr. Schellhorn fordert hier Verteilungsgerechtigkeit und mehr Finanzierung seitens der Politik.
Kompetenzverteilung zw. Bund und Ländern erschwert Weiterentwicklung der PA
In einer Podiumsdiskussion der vorigen zwei Redner gemeinsam mit Mag.a Dorothea Brozek und Dr. Klaus Voget wurde vor allem die Frage nach ausreichender Finanzierung für PA diskutiert. Dabei wurde deutlich, dass die getrennte Finanzierung durch Bund und Land die landesweite Durchsetzung der PA (nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch at home und in der Schule) erschwert.
Wie sieht ein fortschrittliches PA-Modell aus?
Internationale Best Practice Beispiele zur Persönlichen Assistenz wurden von der klinischen Psychologin Dr. Karin Astegger vorgestellt. Am Beispiel Schweden, Flandern und England veranschaulicht sie, was ein gutes Modell Persönlicher Assistenz ausmacht.
Folgende Kriterien macht sie aus:
- PA muss bedarfsgerecht sein. Das bedeutet, dass Beeinträchtigung, Bedürfnisse und Lebenssituation individuell berechnet werden müssen.
- PA muss einkommensunabhängig sein.
- PA muss Gestalter sein. Vor allem am Arbeitsplatz müssen Betroffene ihre Unterstützung frei wählen können.
- PA muss für jede Beeinträchtigung angeboten werden. Also auch im Alter.
- PA muss selbstbestimmt sein. Auch für Menschen mit schwerer Beeinträchtigung. Keine Bevormundung. Peer Beratung sollte vorhanden sein.
- PA muss flexibel sein. NutzerIn entscheidet wann, wo, wie. Außerdem Ausgaben, Supervision, Fortbildungen der AssistentInnen, Administration…
- PA muss gesetzlich verankert werden. Rechtsanspruch auf persönliches Budget für alle.
- PA muss wertgeschätzt sein. Budget darf nicht gekürzt werden und muss angepasst werden.
- PA muss flächendeckend und ohne Zugangsbeschränkungen verfügbar sein. Ausreichend AnbieterInnen und AssistentInnen. PA als anerkannter Beruf. Markt muss bedürfnisgerecht ausgebaut werden.
- PA muss überprüfbar sein. Reflexionen zwischen Behörden und NutzerInnen. Evaluierungen. Fortschritts-und Ergebnis-Reflexion. Lebensqualität im Zentrum der Erhebungen.
Probleme: nur wenig Menschen nehmen PA in Anspruch. Gründe könnten Zugangsbarrieren, Informationsmangel, Deckelungen etc. sein. Für Menschen mit Lernschwierigkeiten, psychischen Problemen und ältere Menschen ist der Zugang zu PA bis heute erschwert. Theorie und Praxis weichen teilweise stark voneinander ab. Für die Umsetzung bedarf es individuell angepasste Methoden an die jeweilige Situation und Beeinträchtigung der NutzerIn.
PA – auch für Menschen mit Lernschwierigkeiten!
Erich Girleck, Leiter des SelbstvertreterInnen-Büros der Lebenshilfe Salzburg, beschäftigte sich mit der Frage, wie PA für Menschen mit Lernschwierigkeiten ausschauen soll. PA ist bisher nur für Menschen mit Körperlicher Beeinträchtigungen zugänglich. Menschen mit Lernschwierigkeiten haben keinen Anspruch auf PA. Obwohl immer mehr SelbstvertreterInnen ihre Stimme erheben, hat sich an der Situation wenig geändert. Ein gutes Beispiel für persönliche Assistenz für Menschen mit Lernschwierigkeiten sieht Girleck in Schweden.
Muss PA für Menschen mit Lernschwierigkeiten anders aussehen? Beim Dienstplan, bei der Anleitung der Persönlichen AssistentInnen oder bei der Finanzierung könnte es sein, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten mehr Unterstützung benötigen. In erster Linie meint Girleck aber, dass man Menschen mit Behinderung durchaus mehr zutrauen sollte. Es braucht unabhängige Peer Beratungsstellen, die bei Problemen mit PA Unterstützung bieten. Es bedarf Informationen über PA in vereinfachter Sprache für Menschen mit Lernschwierigkeiten.
Die Macht, über das eigene Leben zu bestimmen…
Zu „Persönlicher Assistenz, Macht und Geld“ sowie über Rechte, Einstellungen und Haltungen zu diesem Thema sprach die Inhaberin und Geschäftsführerin von Brozek Power Consulting, Mag. Dorothea Brozek. In einem sehr persönlichen Vortrag macht sie auf die Wichtigkeit der PA für ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit und Würde aufmerksam. Bedauerlicherweise erlebt Brozek ein nur sehr langsames Weiterkommen. Sie appelliert an alle, eine Haltung einzunehmen, für PA zu kämpfen, für ein selbstbestimmtes Leben zu kämpfen, für Freiheit und Würde.
Es geht darum, einen Machtausgleich zu schaffen, sein Leben selbst gestalten zu können, sich für gute Arbeitsbedingungen und Partizipation am gesellschaftlichen Leben einzusetzen. Auch die Arbeitsbedingungen der AssistentInnen müssen verbessert werden. Arbeitsverträge müssen für ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen gerecht sein. Die Förderung von PA ist in vielen Bundesländern bis heute willkürlich und nicht bedarfsorientiert. Viele Menschen müssen noch immer entgegen ihres Willens in Heimen leben und unter teils unwürdigen Verhältnissen leben.
Diskussion
In einer Podiumsdiskussion zum Thema Persönliche Assistenz als politischer Diskurs wurde abschließend noch einmal auf die Wünsche, Forderungen, Haltungen und Einstellungen zur PA sowohl seitens der Politik als auch individuell für jede und jeden Einzelnen, der oder die PA in Anspruch nimmt. Die Notwendigkeit bundesweiter Regelungen stand erneut im Zentrum der Diskussion. Zur PA für Menschen mit Lernschwierigkeiten wurde erneut die Frage diskutiert, ob PA anders aussehen muss bzw. welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, auch um prekäre Arbeitsbedingungen auszuschließen. Hierbei muss ein bedarfsorientierter, personenzentrierter Zugang an erster Stelle stehen.
Fazit
Die Tagung war sehr informativ und bereichernd. Es gab viele spannende Inputs und Vorträge zum Thema Persönliche Assistenz. Auch wenn in den letzten Jahren einige positive Entwicklungen in diesem Bereich stattgefunden haben, gibt es noch immer viel zu tun und es liegt unter anderem an den NutzerInnen persönlicher Assistenz für ihre Rechte zu kämpfen, um ein selbstbestimmtes Leben im Sinne der Menschenrechte Leben zu können.
Anna Maria Hosenseidl
AutorIn: Anna Maria Hosenseidl
Zuletzt aktualisiert am: 18.06.2017
Artikel-Kategorie(n): News, Persönliche Assistenz
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