Am 17. November 2011 fand in den Räumlichkeiten des Justizministeriums die 5. öffentliche Sitzung des Monitoringausschusses zum Thema „Unterstützte Selbstbestimmte Entscheidungsfindung – Jetzt entscheide ich!“ statt. Ein Rückblick auf einen diskussionsreichen, informativen Tag an dem auch der ein oder andere emotionale Wortbeitrag Raum fand. behindertenarbeit.at war dabei.
Der Monitoringausschuss stellte eine Diskussionsgrundlage in leichter und schwerer Sprache zur Verfügung. Darin wird unter anderem der Begriff der Sachwalterschaft näher erläutert. „Sachwalterschaft ist nicht nur die Summe von Normen im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch betreffend die Ernennung, Aufgaben und Ziele des Instituts. Es ist nicht nur eine rechtliche, sondern vor allem eine gesellschaftliche und soziale Herausforderung mit weitreichenden praktischen Konsequenzen.“
Nach der offiziellen Begrüßung durch die Vorsitzende des Ausschusses, Mag. Marianne Schulze, verlasen Frau Dr. Naue und Frau Mag. Wurzinger, zwei Mitglieder des Monitoringausschusses, das Diskussionspapier in leichter Sprache. Im Mittelpunkt standen praktische und menschenrechtliche Probleme einer Sachwalterschaft. Marianne Schulze bat die Teilnehmer/innen mit Lernschwierigkeiten den Mut aufzubringen sich zu Wort zu melden. Insbesondere besachwaltete Menschen waren dazu aufgerufen über ihre Erfahrungen, also auch Schwierigkeiten und Probleme mit einer Sachwalterschaft zu berichten. Frau Schulze forderte von allen Anwesenden ein respektvolles Miteinander ein und wies darauf hin, dass Teilnehmer/innen mit Lernschwierigkeiten unbegrenzte Redezeit zur Verfügung stehe. Allen anderen wurde ein begrenzter Zeitrahmen für Wortmeldungen eingeräumt.
Den Beginn machte Frau Gruber vom Netzwerk Selbstvertretung Österreich. Sie berichtete über die Stellungnahme zum Thema Sachwalterschaft, die das Netzwerk in einer Sitzung gemeinsam erarbeitet hat. Die gesamte Stellungnahme können Sie unter http://www.selbstbestimmt-leben.net/wibs/?site=92 nachlesen. Ein Auszug daraus:
„Bei sehr vielen Menschen mit Lernschwierigkeiten hat das Gericht den Sachwalter oder die Sachwalterin bestimmt. Wir selbst sind nicht gefragt worden. Die Menschen mit Lernschwierigkeiten haben vom Gericht erfahren, dass sie einen Sachwalter oder eine Sachwalterin bekommen. Nur sehr wenige haben mitbestimmt, wer der Sachwalter wird.“
Am Ende der Stellungnahme betonte Frau Gruber, dass das Netzwerk Selbstvertretung Österreich zum ersten Mal über das Thema Sachwalterschaft gesprochen hat und noch viele Informationen darüber benötigt.
Anschließend wurden viele persönliche Erfahrungen geschildert – negative wie auch positive. Herr H. klärt auf, dass im Gerichtsbeschluss über die Sachwalterschaft eine Zusammenarbeit zwischen Sachwalter und der besachwalteten Person angeführt ist. Stattdessen macht er folgende Erfahrung: „Die Bank arbeitet mehr mit dem Sachwalter zusammen“.
Herr O. fügt an, dass sein Sachwalter gleichzeitig auch Rechtsanwalt ist und „das macht es noch schwerer“. Wenn Herr O. wichtige Termine hat und mit seinem Sachwalter sprechen will „hat er nie Zeit.“
Herr W. von people first Vorarlberg erzählt, dass „mein Sachwalter mit mir schimpft aber ich habe nichts angestellt. Es tut mir weh wie er mich behandelt.“
Nicht selten kommt es in der Praxis vor, dass Betreuer/innen oder Leiter/innen von betreuten Wohn- oder Tagesstätten der Behindertenhilfe die Sachwalter/innen sind. „Mein Sachwalter war auch mein Chef in der Werkstätte. Er weiß zu viel über mein Leben.“
Frau N. ist Sachwalterin ihrer behinderten Schwester und betonte, dass Angehörige nicht automatisch schlechtere Sachwalter/innen sind. Bevor sie die Sachwalterschaft übernahm hatte diese ein Rechtsanwalt über. In fünf Jahren habe es zwei Treffen gegeben. Dreimal wurde ein Antrag zur Übernahme der Sachwalterschaft durch Frau N. vom Gericht abgewiesen bis es Frau N. mit Unterstützung der Behindertenombudsfrau ermöglicht wurde bei Gericht persönlich vorzusprechen.
Frau K. ist Vereinssachwalterin und berichtet, dass Aufhebungen von Sachwalterschaften Hand in Hand mit Berichten gingen, die vorher abgegeben würden und auf eine Aufhebung hinarbeiten. Richter/innen hätte grundsätzlich Angst eine Sachwalterschaft aufzuheben.
Frau K. kann zu ihrer eigenen Sachwalterschaft nur Positives berichten. „Ich habe mit meinen Eltern nur gute Erfahrungen“ erzählt sie und fügt an „viele wissen nicht was sie für Rechte haben.“
Dem kann sich Herr H. nicht anschließen. Er berichtet, sein ehemaliger Sachwalter hat „Sachen in Rechnung gestellt, die er nicht gemacht hat.“
Herr F. meint „Persönliche Assistenz für Menschen mit Lernschwierigkeiten würde Sachwalter überflüssig machen.“
Im Laufe der Sitzung stellte sich durch verschiedenste Diskussionsbeiträge heraus, dass es oft nicht an den Informationen selbst mangle. Informationen sind da – der Weg zu ihnen kann hingegen beschwerlich sein. So meldete sich eine Mitarbeiterin vom Vertretungsnetz Sachwalterschaft Niederösterreich mit dem Hinweis auf Beratung und Informationsveranstaltungen die die Sachwalterschaftsvereine insbesondere für Angehörige anbieten.
Die Tatsache, dass ein/e Rechtsanwalt/in 25 Sachwalterschaften und bei Nachweis entsprechender „Kapazitäten“ noch mehr annehmen kann und eine Privatperson insgesamt fünf Sachwalterschaften übernehmen kann, stieß bei vielen Anwesenden auf Unverständnis. Frau F: „Was qualifiziert einen Rechtsanwalt deutlich mehr Sachwalterschaften zu übernehmen?“ Ein Vertreter des Justizministeriums erläuterte: ein Mal pro Monat sollte der/die Sachwalter/in Kontakt zur besachwalteten Person aufnehmen; allerdings ist nicht genau geregelt, dass der/die Sachwalter/in diesen Kontakt persönlich herstellen muss.
Bezüglich der aktuellen Berichterstattungen zu Gewalt- und Missbrauchsvorwürfen in Heimen der Jugendwohlfahrt merkte Frau F. an, dass es kaum Meldungen bzw. Diskussionen über ebendiese Vorwürfe in Behindertenheimen und –einrichtungen gegeben hat. „Kein Sachwalter hat je einen Antrag auf Entschädigungszahlung für die behinderten Menschen gestellt.“
Bevor es in die Mittagspause ging gab es noch einen Wunsch an den Monitoringausschuss: „Ein Gesetz, dass Richter/innen zuhören und Menschen mit Lernschwierigkeiten mit einbeziehen in Entscheidungen.“
Marianne Schulze fände es schön, wenn der Monitoringausschuss imstande wäre bei der Gesetzgebung mitreden zu können. Leider ist das nicht möglich, betonte sie.
Nachdem alle Anwesenden mit einem Übersetzungsgerät versorgt waren, sprach Michael Bach, der für seinen Vortrag extra aus Kanada anreiste, über das kanadische Modell von Unterstützter Entscheidungsfindung (U.E.). Er ist Vizepräsident der Canadian Association for Community Living. Die Unterstützte Entscheidungsfindung spielt sich in einem sehr engen Kreis von Vertrauenspersonen ab. Nicht zu verwechseln sei die U.E. mit dem Modell der Persönlichen Assistenz, das es in Canada ebenso gibt. Ein/e Persönliche/r Assistent/in sei für die Unterstützte Entscheidungsfindung rechtlich nicht autorisiert. In den meisten Fällen kommen die Unterstützer/innen aus dem engen Familien- oder Freundeskreis, was bedeutet, dass eine Vertrauensbasis vorhanden sein sollte. Ein/e Unterstützerin wird dann rechtlich legitimiert. Er/sie soll nicht Entscheidungen vorgeben sondern auf dem Weg zu einer selbstbestimmten Entscheidung begleiten. Im Anschluss an den Vortrag konnten noch Fragen gestellt werden.
Die vollständige Präsentation des kanadischen Modells sowie das Sitzungsprotokoll können voraussichtlich ab 5. Dezember auf der Webseite des Monitoringausschusses abgerufen werden.
Mitarbeit ist noch schriftlich möglich
Das aktuelle Diskussionspapier „Jetzt entscheide ich!“ (auch in einfacher Sprache) ist auf der Homepage des Monitoringausschusses verfügbar.
Es besteht noch bis 13. Jänner 2012 die Möglichkeit, Kommentare und Ergänzungsvorschläge einzubringen an die Email:
buero@monitoringausschuss.at.
Im Anschluss wird der Monitoringausschuss eine Stellungnahme zum Thema beschließen und veröffentlichen.
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AutorIn: Isabell Supanic
Zuletzt aktualisiert am: 16.06.2017
Artikel-Kategorie(n): Menschen mit Lernschwierigkeiten, News, UN Behindertenrechtskonvention
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