Im Dezember 2023 wurde das Forschungsprojekt „Lohn statt Taschengeld“ in der WU Wien präsentiert. Die Ergebnisse machen Mut, die Reaktionen sind gemischt. Behindertenarbeit.at hat mit Personen aus der Praxis gesprochen.
Aktuell arbeiten in Österreich etwa 28.000 Menschen mit Behinderung in Tagesstrukturen bzw. Werkstätten. In der Regel erhalten diese für Ihre Tätigkeiten ein Taschengeld von weniger als 100 Euro pro Monat. Seit Jahren fordern Selbstvertreter:innen und Behindertenorganisationen eine gerechte Entlohnung und eine volle sozialversicherungsrechtliche Absicherung inkl. Pensionsversicherung. Diese Forderung ist auch Teil des aktuellen Regierungsprogramms, das ursprünglich bis 2024 umgesetzt werden sollte.
Studienergebnisse: Finanzielle Vorteile für Menschen mit Behinderung in Tagesstrukturen
Um die Auswirkungen einer Umstellung auf Lohn zu berechnen, gab das Sozialministerium im Jahr 2021 ein Forschungsprojekt beim NPO Kompetenzzentrum der WU Wien in Auftrag. Die Studie vergleicht die derzeitige Situation mit einem Alternativ-Szenario, bei dem das bisherige Taschengeld durch ein Gehalt von 1.180 Euro brutto (14-mal pro Jahr) ersetzt wird.
Die Ergebnisse zeigen, dass sich eine Umstellung für Menschen mit Behinderungen in Tagesstrukturen – trotz Kürzung von Sozialleistungen – finanziell lohnen würde. Konkret bringt ein Lohn-System „rund 5.240 Euro zusätzliches Einkommen im Jahr für eine durchschnittliche Person mit Behinderung“, so Studienautor Christian Grünhaus. Laut Berechnungen profitieren von der Umstellung auch die Sozialversicherung und zu einem kleinen Teil der Bund. Einzig die Länder hätten Mehrkosten zu tragen, da diese für die Lohnkosten aufkommen müssten.
Kritische Worte und Bedenken aus der Praxis
Die Reaktionen auf das Forschungsprojekt fielen unterschiedlich aus. So kritisiert BIZEPS, dass in der Studie ein sehr geringes Gehalt angenommen wurde und sozial- und arbeitsrechtlichen Bedingungen, wie Urlaubsanspruch, unberücksichtigt blieben. Sabine Fenzl, Teamleitung der Kreativwerkstatt, macht deutlich, dass die Umsetzung von Lohn aufgrund der Komplexität „sicher nicht einfach“ wird und eine baldige Lösung schwer vorstellbar ist. Auch Daniela Sprengnagel, Teamleitung im Regenbogenhaus, gibt zu bedenken, dass gerade die Übergangszeit viel Unsicherheit bei Klient:innen hervorrufen könnte: „Schließlich fallen auch Förderungen weg bzw. werden durch Lohn ersetzt, wenn man das nicht gut versteht, dann entstehen schnell Sorgen und Gerüchte, da muss es gute Beratung geben.“
Nicht zuletzt bleibt die Frage offen, ob Lohn statt Taschengeld tatsächlich für alle Klient:innen in Tagesstrukturen denkbar ist. „Manche Menschen können nur ein bis zwei Stunden am Tag etwas arbeiten, aber auch diese Möglichkeit sollte genutzt werden“, zeigt sich Wolfgang Bamberg, Pressesprecher von Jugend am Werk, optimistisch.
Tagesstruktur neu gedacht: „Ziel ist die Qualifizierung für den Arbeitsmarkt“
Wolfgang Bamberg erachtet Lohn in Werkstätten jedenfalls als “wichtigen Schritt Richtung Arbeitsmarkt”. Laut Bamberg setzen Tagesstrukturen schon jetzt immer stärker auf berufliche Integration. In einem Idealbild skizziert er Tagesstrukturen künftig als Anlaufstelle für alle Menschen, die Unterstützung beim Einstieg in den Arbeitsmarkt brauchen: „Personen sollen die Möglichkeit haben, Kompetenzen zu erwerben, für ein Jahr oder zwei Jahre – aber das Ziel ist ein Beschäftigungsverhältnis”.
In dieser Form wären Tagesstrukturen auch für Menschen mit psychischen Erkrankungen attraktiv, bekräftigt Sprengnagel. „Unsere Klient:innen kommen oft aus einem regulären Arbeitsverhältnis, können aber aufgrund psychischer Erkrankungen nicht mehr arbeiten. Gerade für diese Personen wäre eine Einrichtung, die beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt unterstützt, sehr interessant.“ Sabine Fenzl ist eher skeptisch: „Ein direkter Übergang von der Tagesstruktur zum ersten Arbeitsmarkt ist schwierig“, vorstellbar wäre eher der Übergang in eine Art „Zwischenarbeitsmarkt“, ein „Job Light“.
Lohn statt Taschengeld vereinfacht Übergang in Arbeitsmarkt
Bamberg zeigt sich überzeugt, dass Lohn in Tagesstrukturen auch deshalb wichtig ist, da dadurch der Übergang in den Arbeitsmarkt erleichtert wird. „Unternehmen haben so Anhaltspunkte bezüglich Bezahlung oder arbeitsrechtlicher Bestimmungen“, wenn sie Menschen mit Behinderungen einstellen. Ebenso ist es wichtig, dass Klient:innen verstehen „wie Arbeit funktioniert“. Es wird laut Bamberg von besonderer Bedeutung sein, Transparenz durch einfache Sprache zu schaffen, zB Lohnzettel für alle verständlich zu machen. Eine Herausforderung, von auch viele Menschen ohne Beeinträchtigung profitieren würden.
“Von Ländern schon gehört, wir zahlen das nicht”
In der Studie sind es die Länder, welche für den Lohn aufkommen, da diese rechtlich für die Vergütung von Leistungen für tagesstrukturelle Einrichtungen zuständig sind.
Laut Insidern habe man jedoch bereits vereinzelt gehört, dass die Länder die Kosten nicht übernehmen wollen. Eine Alternative wäre hier ein Finanzausgleich vom Bund oder der Einbezug von Unternehmen, welche mit Tagesstrukturen stärker verbunden sind.
Im Rahmen der Pressekonferenz im Dezember haben Sozialminister Johannes Rauch und Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher jedenfalls angekündigt, basierend auf den Studienergebnissen mit den Ländern Gespräche zu führen. Ein erster Zwischenbericht soll bis zum Frühsommer 2024 vorliegen.
PDFs zum Download von der Internetseite der WU Wien:
Lohn statt Taschengeld – Studie
www.wu.ac.at – Studie_Lohn_statt_Taschengeld (PDF)
Lohn statt Taschengeld – Zusammenfassung der Studie
www.wu.ac.at – LsT_Zusammenfassung (PDF)
Lohn statt Taschengeld – Zusammenfassung der Studie in einfacher Sprache
www.wu.ac.at – LsT_Zusammenfassung_Leichte_Sprache_A2 (PDF)
Fotoquelle:
pixabay, thekurupi
AutorIn: Alice Bauer
Zuletzt aktualisiert am: 05.02.2024
Artikel-Kategorie(n): Arbeitsintegration und unterstützte Beschäftigung, News
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