Der Vortrag von Prof. Hinte auf der Tagung der IVS Wien im Juni 2012 hat besonders viel Applaus geerntet – und das obwohl er die Sozialarbeit regelrecht in Frage gestellt hat. Ein paar Gedanken dazu…
Prof. Wolfgang Hinte, Leiter des „Institut für Stadtteilentwicklung, Sozialraumorientierte Arbeit und Beratung“ hielt am zweiten Tag der IVS Fachtagung „Wien wird anders“ einen äußerst humorvollen und treffsicheren Vortrag mit dem Titel: „Sozialraumorientierung und Inklusion – braucht man dafür Soziale Arbeit?“
Das Team von behindertenarbeit.at möchte sich gerne mit einigen Gedanken an Prof. Hinte’s Thesen anschließen.
Wollen oder brauchen?
Nach Prof. Hinte sind Kernkompetenzen Sozialer Arbeit u. a. Verhältnisse zu gestalten, herauszufinden was Menschen WOLLEN und nicht was sie BRAUCHEN und aktivieren statt zu betreuen – also keine betreuenden, sondern unterstützende Systeme.
Im Moment lebt die Sozialarbeit in einem Kostenträger–Defizit–System. Soll heißen, die Bedürftigkeit von Personen und die Konzentration auf ihre Defizite stehen im Vordergrund. Recht und Ökonomie dominieren das System, nicht die Sozialarbeit. Demnach, so Hinte, bleibt der Sozialarbeit nichts anderes übrig, als dem Geld quasi hinterherzulaufen und deshalb möglichst viele „Fälle“ zu betreuen…
Der richtige sozialarbeiterische Ansatz orientiere sich am Können von Personen, eben nicht an ihren Defiziten, so Hinte. Aus unseren fachlichen wie persönlichen Erfahrungen wissen wir, dass behinderte Menschen nur allzu oft nach ihren nicht vorhandenen Fähigkeiten „eingestuft“ und beurteilt werden.
Ausbildung muss sich grundlegend ändern
Doch wie gelingt das – zu unterstützen statt zu betreuen und zu aktivieren – vor allem den Willen von Menschen. Hm. Vielleicht schon in der Ausbildung damit beginnen, die zukünftigen Fach- und DiplombetreuerInnen als UnterstützerInnen zu schulen? Mit ihnen das bestehende System zu hinterfragen und mit ihnen gemeinsam eine neue „Berufs-Rolle“ zu erarbeiten? Das Modell der Unterstützten Entscheidungsfindung als Unterrichtsfach einzuführen? Nicht über behinderte Menschen lehren sondern mit ihnen? Und dann als KollegInnen zusammen arbeiten? (Siehe Modell IBB(2) der Lebenshilfe Graz)… Und jetzt höre ich sie schon, die kritischen Stimmen: Wie soll das nur funktionieren, wer wird das bezahlen…?
In einem Workshop zum Thema Wohnen wurde u. a. die Frage aufgeworfen: Was könnte man morgen oder in 2 Wochen bereits zum Positiven verändern? Na vielleicht die Dokumentationen über Pontius und Pilatus abschaffen? Was würde da an Zeitressourcen über bleiben! Was gäbe es da Zeit um über das zu sprechen, was KundenInnen WOLLEN. Aber um Gottes Willen, es muss doch dokumentiert werden, wofür das viele Geld ausgegeben wird. Transparenz!
Gemeinsam etwas verbessern
Wir haben auf der Fachtagung die unterschiedlichsten Stimmungen eingefangen: Stimmungen des Aufbruchs, des Verändernwollens, der Zustimmung über die Notwendigkeit bestehende Systeme umbauen zu müssen, …. aber auch Stimmungen des Zweifels, der Unsicherheit über alles Neue was kommen kann, der Unsicherheit über die eigene Position im „System“.
Wir sind gespannt, was nun mit den Ergebnissen der Workshopgruppen und den fachlichen Inputs der ReferentInnen passieren wird. Falls Sie „unrealistische“, radikale Forderungen wagen sollten, sind Ihnen die ExpertInnen („IllusionistInnen“) dabei gerne behilflich!
Den Vortrag von Prof. Hinte können Sie demnächst auf der Webseite der IVS Wien nachlesen bzw. –hören.
AutorIn: Isabell Supanic
Zuletzt aktualisiert am: 16.06.2017
Artikel-Kategorie(n): News, Soziale Arbeit und Begleitung
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