Es könnte genauso sprachlos in Niederösterreich, Salzburg oder Tirol heißen… Ein Kommentar von Tamara Grundstein.
Nein, ich plane kein Remake einer Hollywood-Romanze.
Ich bin sprachlos!
Ich bin sprachlos darüber, dass immer noch in Institutionen investiert wird.
Ich bin sprachlos, dass immer noch Sonderschulen gebaut werden.
Ich bin sprachlos, dass immer noch viele behinderte Menschen nur „warm, satt und sauber“ gehalten werden.
Ich bin sprachlos, dass es immer noch kein trägerunabhängiges Selbstvertretungszentrum in Wien gibt.
Ich bin sprachlos, dass unsere Rechte mit Füßen getreten werden.
Vor allem aber bin ich sprachlos, dass wir uns das alles (schon wieder) gefallen lassen!
Da findet z.B. in Wien eine 2-tägige Veranstaltung mit dem Titel „Wien wird anders“ statt und es wird das gesamte Tagungsprogramm ohne Einbindung der Selbstbestimmt Leben Bewegung und/oder der Selbstvertretungsbewegung gestaltet. Noch viel schlimmer: die Menschen, um die es die gesamten 2 Tage ging, durften uns in den Pausen bewirten und wer mochte, durfte auch im Plenum sitzen.
Da gab es dann auch über die eine oder andere Wortmeldung meist anerkennende Reaktionen seitens der „Fachleute“.
Dieses Szenario ist aber weder als inklusiv noch als gelebte Vielfalt zu verstehen. Abgesehen davon, dass der Veranstaltungsort lediglich über eine einzige barrierefreie Toilette verfügte, was zu einer permanenter Warteschlange führte, und ausschließlich Stehtische zum Essen zur Verfügung standen, wurde auch auf sämtliche anderen Kriterien der Barrierefreiheit vergessen. Es gab keine Unterlagen in Leichter Sprache, geschweige denn, dass die Referent_innen angehalten wurden, in Leichter Sprache zu referieren. Unterlagen in Brailleschrift und Induktionsschleife waren ebenso nicht vorhanden.
Kurzum: Behinderte Menschen wurden nicht nur nicht mit-einbezogen, sie wurden auch auf vielfältige Weisen diskriminiert. Wäre ich jetzt polemisch, würde ich sagen, dass dies evtl. unter Vielfalt verstanden wurde…
Aber ich möchte konstruktiv bleiben!
Behinderte Menschen bewegen sich immer in dem Mächte-Dreieck geldgebende Stelle (Politik/Verwaltung) – dienstleistende Stelle (Träger) – sie selbst. Dieses Mächteverhältnis hat ein sehr ausgeprägtes Ungleichverhältnis, dh. behinderte Menschen sind hier die Schwächsten. Nicht etwa, weil wir per se schwach sind, nein! Sondern weil mit uns nicht auf gleicher Augenhöhe kommuniziert wird. Weil die zwei Anderen (Politik und Träger) nicht bereit sind, ihre Macht zu hinterfragen bzw. zu teilen. und – durchaus selbstkritisch betrachtet – weil wir es nicht schaffen, unsere Kräfte zu bündeln. Mit uns meine ich die Selbstvertretungs-Organisationen, Selbstbestimmt-Leben-Organisationen und die vielen engagierten Einzelpersonen.
Bei allen Anstrengungen, politischen Lobbyismus zu betreiben, in Gremien mitzuarbeiten, in der Politik aktiv zu sein, den Gedanken der Inklusion voranzutreiben und auf die Umsetzung der UN-BRK zu pochen, sollten wir behinderte Menschen nie vergessen, dass wir EINE Gruppe sind! Und zwar eine sehr große und damit eigentlich auch eine sehr mächtige…
Tamara Grundstein
Peer Counseling, Feministische Beratung,
Supervision, Dis-/Ability Management
AT-1030 Wien
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Quelle: Tamara Grundstein
AutorIn: Tamara Grundstein
Zuletzt aktualisiert am: 04.06.2015
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