Am 28. Oktober 2011 fand die Fachtagung „Kündigungsschutz adé – Neue Wege in der Beschäftigung von Menschen mit Lernschwierigkeiten“ im Kardinal-König-Haus statt. Veranstaltet wurde die Tagung von AMS Österreich, Caritas Österreich und abif. Durch die Veranstaltung führte Frau Mag. Karin Steiner, Geschäftsführerin und Vorstandsvorsitzende des Vereins abif. behindertenarbeit.at war dabei.
Nach der Begrüßung durch Karin Steiner und Gregor Demblin wurden folgende Vorträge zum Thema Menschen mit Behinderung am Arbeitsmarkt dargeboten:
Vortag: Inklusiver Arbeitsmarkt – Anforderungen durch die UN-Konvention
Frau DDr. Ursula Naue hielt ihren Vortrag im Namen des Monitoringausschusses zur UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), dessen Mitglied sie ist. Sie verwies zu Beginn ihres Vortrages auf die Aussage eines Podiumsdiskutanten wenige Tage zuvor bei einer Veranstaltung der Industriellenvereinigung zum Thema „Lobbying für Behinderte“. Dieser meinte, es sei bereits ein Quantensprung bezüglich eines inklusiven Arbeitsmarktes in den letzten Jahren in Österreich gelungen. Dr. Naue meinte, dass von einem Quantensprung erst dann die Rede sein kann, wenn Artikel 27 der UN-BRK vollständig umgesetzt sei. Das ist derzeit nicht der Fall. Nach einem Überblick über den derzeitigen Ratifikationsstand (20. Oktober) der Staaten weltweit (153 Staaten haben die BRK unterschrieben; 106 Staaten haben sie ratifiziert) und einer Einführung in Grundideen der BRK erläuterte Dr. Naue den Ist-Zustand eines inklusiven Arbeitsmarktes in Österreich. Fazit: aufgrund der Unkenntnis über die Rechte behinderter Menschen am Arbeitsmarkt käme es immer wieder zu vielen Benachteiligungen. Unterstützungsmaßnahmen wie beispielsweise „Clearing“ sind nicht flächendeckend ausgebaut. 59% der SchülerInnen die noch immer nach sonderpädagogischen Förderbedarf unterrichtet werden, erhalten keine geeigneten Unterstützungsmaßnahmen zum gleichberechtigten Arbeitsmarktzugang. Am Ende ihres Vortrages betonte Frau Naue die Wichtigkeit der Sammlung von Daten, die für weitere Planungen unabdingbar sind. Diese sollen sich jedoch nicht auf die „Arbeitsfähigkeit“ behinderter Menschen beziehen, sondern auf den jeweiligen „Unterstützungsbedarf“, ganz im Sinne der UN-BRK.
Vortrag: Internationale Best Practice Beispiele: Von Best Practice zu Next Practice
Herr Mag. Oliver König, freischaffender Sozialwissenschaftler, gab mit seinem Vortrag einen Überblick über die internationalen Lernerfahrungen aus der knapp 30-jährigen Geschichte von Ansätzen des Supported Employment (Unterstützte Beschäftigung) und eigener Forschungsprojekte. Megatrends die während seiner beruflichen und wissenschaftlichen Tätigkeiten der letzten Jahre wurden sind u.a. die Betonung der Menschenrechte und die damit einhergehende neue Sichtweise auf behinderte Menschen, der Paradigmenwechsel von Integration zu Inklusion, demografischer Wandel und neue Verteilungsdiskussionen, Sorgen angesichts steigender Kosten im Sozial- und Gesundheitsbereich und wachsende Unzufriedenheit. Im Wandel von Best zu Next Practice vollziehen sich neue politische, gesellschaftliche und soziale Anforderungen. Der Wechsel von pauschaler Versorgung zu ziel- und passgenauen individuellen Unterstützungsangeboten im Sinne des Supported Employment (S.E.) war ein solcher Prozessmusterwechsel. Anschließend ging Herr König auf die Chronologie und Trends wissenschaftlicher Forschung und die institutionelle Entwicklung von S.E. ein. Aktuellste Entwicklungen aus zu Costumized Employment zeigen eine u.a. eine Hinwendung zu Individualisierter Feststelllung der Stärken, Bedürfnisse und Interessen behinderter Personen. Was es schließlich braucht um von Best zu Next Practice zu gelangen sowie Herausforderungen für die Zukunft bildeten das Ende des Vortrages von Herrn König.
Vortrag: Institutionelle Einrichtung auf dem Weg zur Inklusion
Herr Mag. Eugen Hartmann von der Caritas Vorarlberg referierte über alte und neue Arbeitsmöglichkeiten sowie über das zentrale Thema „Grundhaltung“ in der Caritas Vorarlberg. Inklusion lasse sich schließlich nicht vorantreiben „ohne vor der eigenen Haustüre zu kehren“, so Herr Hartmann. Es gibt innerhalb der Caritas Vorarlberg sowohl die Beschäftigung in Werkstätten im Sinne traditioneller als auch neuer arbeits- und Beschäftigungsangeboten. Herr Hartmann meint dazu, dass es Menschen gibt, die zum Teil schon 20 Jahre und mehr in den Werkstätten tätig sind und ein hohes Zufriedenheitsgefühl haben. Für diese Menschen muss auch eine Möglichkeit gefunden werden um „einen Schritt nach vorne zu gehen“. In Vorarlberg sind ca. 200 behinderte Menschen in den 1. Arbeitsmarkt integriert – durch vom Land geförderte Arbeitsplätze und gegebenenfalls mit Unterstützung durch MentorInnen. Herr Hartmann meint weiter, dass immer wieder behinderte Menschen nach einem halben Jahr am 1. Arbeitsmarkt wieder zur Caritas zurückkämen weil sie „psychisch sehr angeschlagen“ sind. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten in den „internen Betrieben“ wie z.B. Kantinen, Kerzenproduktion, Bauernladen und die Kombination von Werkstättenarbeit und einem Außenarbeitsplatz in der Wirtschaft als ersten Schritt in den offenen Arbeitsmarkt. Zum Thema „Grundhaltung“ müssen sich die MitarbeiterInnen folgende Frage stellen: „machen“ wir oder „ermöglichen“ wir? Herr Hartmann erklärt, es herrsche auch Angst bei den MitarbeiterInnen neue Wege zu beschreiten und neue Wege umzusetzen, weshalb entsprechende Begleitmaßnahmen notwendig seien. Diese Maßnahmen beinhalten u.a. Fortbildungen und Workshops, das Erarbeiten von entsprechenden Leitlinien und auch das Einbinden externer Beratungen wie z.B. „Peer“. Herr Hartmann und seine KollegInnen haben regelmäßigen Kontakt zu einer behinderten Expertin aus Salzburg, die sie oft auf den Boden der Tatsachen zurückhole.
Gesprächsrunde
Nach einer Kaffeepause fand eine Gesprächsrunde mit Herrn Alexander Liedl, Arbeitnehmer mit Lernschwierigkeiten bei Interspar und Herrn Helmut Gragger, Inhaber und Geschäftsführer von Bioholzofen Bäckerei Gragger statt. Die Fragen wurden von Frau Mag. Andrea Egger-Subotitsch von abif gestellt.
Herr Liedl erzählt, dass er nun schon 18 Jahre im Handel arbeite. Nachdem er die Sonderschule in Sollenau beendet hat war er zunächst 9 Jahre in einer Gärtnerei tätig. Dann wechselte er in den Handel. Derzeit arbeitet er bei Interspar. „Ich mache das Leergut. Ich sortiere die Flaschen. Und den Parkplatz sauber machen.“ Auf die Frage wie ihm die Arbeit dort gefalle antwortet Herr Liedl: „Ich habe super Mitarbeiter“.
Herr Gragger beschäftigt in seiner Biobäckerei 50 MitarbeiterInnen. 11 davon mit Lernschwierigkeiten. In Kooperation mit der Caritas und dem Bundessozialamt Oberösterreich betreibt er das Projekt „back ma’s“, indem Lehrlinge mit Lernschwierigkeiten die Ausbildung zum Bäcker/Konditor absolvieren. Gragger auf die Frage nach seiner Entscheidung Menschen mit Lernschwierigkeiten zu beschäftigen: „Wenn man ökologisch arbeitet ist man auch sozial offen“. Und weiter: „Nicht zuviel nachdenken was alles schief gehen kann, einfach machen.“ Der Vermittlungsgrad seiner Lehrlinge sei hoch, da sie handwerklich sehr gut ausgebildet sind. Eine Pädagogin bereitet die Lehrlinge auf die Berufschule vor. Ein weiterer Lehrlingsausbildner ist vor Ort.
Was sich die Herren wünschen fragt Fr. Mag. Egger-Subotitsch abschließend. Herr Liedl: „Dass ich beim Interspar in Pension gehen kann.“ Herr Gragger: „Dass es so weiter geht.“
Podiumsdiskussion
Letzter Programmpunkt nach einer kurzen Pause war die Podiumsdiskussion mit DDr. Ursula Naue (Uni Wien), Dr. Günther Schuster (Bundessozialamt), Mag. Gregor Demblin (Caritas Österreich), Herbert Pichler (Behindertensprecher des ÖGB), Mag. Andreas Gruber (Industriellenvereinigung, Bereich Arbeit und Soziales) in der unter anderem Maßnahmen, die auf Menschen mit Behinderung eingehen, erläutert wurden.
Herr Dr. Schuster sprach sich für die bereits vorhandene Teilqualifizierung aus, während Frau Dr. Naue eine Möglichkeit im Ausbau der Präsenz von behinderten Menschen in der Gesellschaft sieht. Herr Pichler kam auf die Ausgleichstaxe zu sprechen: in einer Erhebung aus dem Jahr 2003 gaben oberösterreichische Unternehmer an, eher eine höhere Ausgleichstaxe zu zahlen, denn höhere Zuschüsse für die Einstellung behinderter Menschen bekommen zu wollen. Herr Schuster ergänzte, dass für viele Menschen Behinderung automatisch Einschränkung bedeute. Diesbezüglich sei eine Bewusstseinsbildung „immens wichtig“.
Auf die Frage was sich in den nächsten 10 Jahren verändern soll meint Frau Dr. Naue, dass die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ein großer Schritt wäre. „Es muss sich was bewegen, es muss angegangen werden.“
Mag. Gruber spricht von umgesetzter Barrierefreiheit, einem Bewusstseinswandel und einem erhöhten Zugang zu Aus- und Weiterbildung für behinderte Menschen. Sein persönliches Statement: „Menschen mit Behinderung sind nicht immer gleich leistungsfähig wie Menschen ohne Behinderung.“ Deshalb müsse es „ausreichend Fördermöglichkeiten“ geben.
Herr Schuster spricht sich für eine Kompetenzschärfung aus um qualitative Aufgabenstellungen als Institution besser lösen zu können.
Herr Pichler sieht viele positive Effekte aus der ORF-Kampagne hervortreten.
Link
abif.at – Tagungsdokumentation
(Hier können Tagungsmappe und Vorträge heruntergeladen werden.)
AutorIn: Isabell Supanic
Zuletzt aktualisiert am: 16.06.2017
Artikel-Kategorie(n): Arbeitsintegration und unterstützte Beschäftigung, News
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