Unter dem Begriff „Disability Studies“ versteht man ein internationales, komplexes Forschungsfeld, bei dem das Thema „(Nicht-)Behinderung“ im Fokus der Untersuchung steht. Nun ist ein umfangreiches deutschsprachiges Werk dazu erschienen.
Bei den „Disability Studies“ wird versucht, Behinderung nicht mehr nur als ein medizinisch-pädagogisches Phänomen zu betrachten – die Aufarbeitung einer sozial- und kulturwissenschaftlichen Perspektive wird in den Mittelpunkt gerückt. Die Disability Studies vollziehen außerdem einen Paradigmenwechsel dahingehend, dass behinderte Menschen von (medizinischen) Forschungsobjekten selbst zu Forscher:innen werden. Ein sehr prägnantes Motto der Disability Studies lautet etwa: „Wir forschen selbst“.
Dr. rer. pol. Anne Waldschmidt veröffentlichte im März 2022 zu diesem Thema das „Handbuch Disability Studies“. Sie ist Sozialwissenschaftlerin und Professorin an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln. Außerdem leitet sie die Internationale Forschungsstelle Disability Studies (iDiS).
Weg von „medizinischen Modell“
In dem Handbuch wird das Thema ausführlich erläutert – es wird zuerst die Forschungsrichtung mit ihren zentralen Fragestellungen und speziellen Begriffen, sowie deren Verwendung im Kontext beschrieben. Weiters wird die Geschichte des Ausdrucks „Behinderung“ und der internationalen Behindertenbewegungen des jungen 19. Jahrhunderts bearbeitet.
Selbstbestimmung als Konzept
Die „Disability Studies“ haben, ähnlich wie die „Gender Studies“ oder die „Queer Studies“, die Absicht einer Emanzipation der entsprechenden Gemeinschaft. Das Handbuch erläutert dabei zentrale Thematiken, bei denen Selbstbestimmung und Partizipation noch immer nicht vollständig gegeben sind. Dabei werden unter anderem die Sprache und Literatur, die Rechtswissenschaft, die Ethik sowie die Psychologie im Kontext diskutiert.
Bei Letzterem wird die Problematik des „einseitigen medizinischen und defizitorientierten Verständnis von Behinderung“ erläutert, welches in der Psychologie dominiert. Es finden sich jedoch weitere Ansätze, wie die Psychoanalyse, die Kritische Theorie oder der soziale Konstruktivismus, die für die Psychologie der „Disability Studies“ zentrale Komponenten sind.
Behinderung und Gesellschaft
Das Buch diskutiert außerdem das Problem des gesellschaftlichen Verständnis für Behinderung und beeinträchtigte Menschen. Durch Modelle von Behinderung werden Lebensbedingungen und „notwendige“ Maßnahmen impliziert. Es werden neue, eigene Modelle der „Disability Studies“ vorgestellt, darunter zum Beispiel das „Minderheitenmodell“, sowie das „Menschenrechtsmodell“ – diese werden anschließend mit den bisherigen Überlegungen verglichen.
Umsetzung von Inklusion
Zu einer funktionierenden Inklusion gehört auch die weitreichende Umsetzung von Barrierefreiheit. In diesem Abschnitt des Handbuches werden gesetzliche Regelungen, Planungsstandards und technologische Systeme erläutert – danach wird über eine praktische Durchführung einer inklusiven Stadtplanung ausgeführt.
Fazit
Das Handbuch Disability Studies ist ein umfangreiches Werk, in dem das Thema Behinderung aus verschiedenen Aspekten von renommierten Expert:innen wissenschaftlich betrachtet wird. Die 30 deutschsprachigen Beiträge geben einen fundierten Einblick in das junge Forschungsfeld der Disability Studies. Eine Leseempfehlung für alle, die im Themenfeld Behinderung studieren und forschen und alle, die das Thema Behinderung zeitgemäß verstehen lernen wollen.
Informationen zum Buch
Handbuch Disability Studies
Springer VS; 1. Aufl. 2022 Edition (17. März 2022)
Sprache: Deutsch
Gebundene Ausgabe: 525 Seiten
ISBN-10: 3531175378
ISBN-13: 978-3531175379
AutorIn: Redaktion
Zuletzt aktualisiert am: 28.04.2022
Artikel-Kategorie(n): Bildungsnews, News
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