Vom 25. November bis zum 10. Dezember finden die 16 Tage gegen Gewalt statt. Und obwohl in den letzten Wochen sehr viel über Misshandlungs- und Gewaltvorfällen in früheren Kinderheimen berichtet wurde, ein Thema wird bis heute noch tabuisiert – Gewalt gegen behinderte Frauen.
Behinderte Frauen sind zwar von den selben Formen von Gewalt bedroht und betroffen wie nicht-behinderte Frauen auch – häusliche, strukturelle, psychische, physische und sexualisierte Gewalt. Trotzdem gibt es gravierende Unterschiede in den Auswirkungen, v.a. aufgrund von Biographien.
So sieht’s immer noch aus!
Gerade behinderte Frauen mit institutionellem Hintergrund sind von massiven Diskriminierungen betroffen. Es gibt oft große Unterschiede zwischen pädagogischen Leitbildern und tatsächlicher Umsetzung.
So gibt es de facto oft keine freie Ärzt_innenwahl für behinderte Frauen in Einrichtungen. Frauen sind oft nicht ausreichend informiert, wie es um ihre Gesundheit steht und welche Möglichkeiten es medizinisch/therapeutisch gibt.
Behinderte Frauen in Einrichtungen müssen oft in Kauf nehmen, von Männern pflegerische Hilfen zu bekommen. In diesen Situationen sind die Übergriffe häufig besonders schleichend. Die Frauen sind hier besonders abhängig, sie müssen ihren Körper zwangsläufig nackt präsentieren. Gerade bei der Pflege im Intimbereich ist es nicht nur unangenehm von einem Mann Hilfe zu bekommen. Die Gefahr von sexuellen Übergriffen ist enorm hoch. Sehr viele Frauen in Einrichtungen unterdrücken ihre Bedürfnisse auf Intimität.
Mangelnde Intimsphäre ist eine „optimale“ Voraussetzung für Gewalterfahrungen. Ein weiterer Aspekt ist die mangelnde oder nicht vorhandene Sexualaufklärung über den eigen Körper und den des anderen Geschlechts.
Gerade behinderten Frauen in Einrichtungen wird ein Ausleben ihrer Sexualität aus den unterschiedlichsten Ursachen verwehrt. Auch Partnerschaften werden nicht gerade gefördert.
Ähnlich verhält es sich bei dem Thema Mutterschaft. Europaweit gibt es kaum Einrichtungen die den Wunsch auf Mutterschaft aktiv unterstützen. In Österreich gibt es keine Hilfsangebote für Mütter mit Lernschwierigkeiten. Ihnen wird das Kind meist abgenommen.
Es gibt noch viel zu tun!
Immer noch wird viel zu wenig Präventionsarbeit geleistet. Oberste Prämisse des Präventionsansatzes ist die Stärkung der Betroffenen in Richtung Selbstbestimmung. Einrichtungen müssen transparenter und durchlässiger werden.
Ganz besonders Einrichtungen, in denen Frauen mit sehr hohem/basalem Unterstützungsbedarf leben. Hier muss eine Transparenz im Tun bestehen. Das heißt nicht, dass Frauen mit hohem/basalem Unterstützungsbedarf zu gläsernen Menschen werden sollen, sondern dass es in einem Bereich, wo Bewohnerinnen von Einrichtungen sich kaum selber äußern können oder verstanden werden, Qualitätsstandards unumgänglich sind. Es braucht die höchstmöglichste Transparenz und Kommunikation innerhalb des Personals und permanente Selbstreflexion und gemeinsame Reflexion.
Sowohl in der Prävention als auch in Verdachtsmomenten, aber auch in Situationen von tatsächlichen Gewalterfahrungen braucht es innerhalb der Einrichtungen zum einen Sensibilisierungsmaßnahmen auf allen Ebenen und zum anderen Ansprechpersonen für Betroffene bzw. Betreuer_innen mit Verdachtsmomenten. Eine meines Erachtens nach sehr gute Idee sind sog. Frauenbeauftragte. Nach dem peer-Prinzip sind hier behinderte Frauen innerhalb einer Einrichtung die Ansprechpersonen für ihre Mitbewohnerinnen oder Kolleginnen zum Thema Gewalt. Dieses Modell hat sich in Deutschland bereits gut bewährt. Die Frauenbeauftragten bekommen eine Weiterbildung um dann gut vernetzt mit Peer Counseling-Stellen bzw. Frauenberatungsstellen vor Ort eine erste Anlaufstelle sein zu können.
Des weiteren müssen Beratungsstellen und Frauenhäuser nicht nur barrierefrei werden, sondern auch ihre Teams mit behinderten Frauen als Expertinnen bzw. Mitarbeiterinnen erweitern. Es kann nicht angehen, dass es in einer Stadt wie Wien nur ein einziges barrierefreies Zimmer in einem Frauenhaus gibt und keine einzige behinderte Frau in eine der Frauenberatungsstellen arbeitet.
Nicht wünschen, sondern fordern!
Weihnachten steht zwar vor der Türe, aber uns geht es nicht mehr um Wünsche. Wir fordern die Umsetzung der UN-Konvention für die Rechte von behinderten Menschen und zwar auf allen Ebenen. Wir fordern individuelle Hilfen für alle, unabhängig von Art und Ausmaß der benötigten Hilfe, sei es Persönliche Assistenz rund-um-die-Uhr oder basale Unterstützung. Wir fordern einen Stopp von neuen Institutionen und einen kontinuierliche Abbau von bestehenden. Wir brauchen mehr Beratungsangebote von und für behinderte Frauen.
Damit behinderte Frauen nicht mehr von allen Formen der Gewalt bedroht werden, bzw. damit sie sich dagegen wehren können. Damit behinderte Frauen ein Recht darauf haben, nur von Frauen Hilfe in Anspruch zu nehmen. Damit behinderten Frauen nicht mehr Informationen über ihren eigenen Körper vorenthalten werden.
Damit behinderte Frauen/Mädchen nicht mehr als asexuelle Wesen gesehen werden. Damit behinderte Frauen ein Recht auf Mutterschaft haben, auch wenn sie auf Hilfe angewiesen sind. Damit behinderten Frauen Bildungsangebote nicht mehr vorenthalten werden.
Tamara Grundstein
Peer Counseling, Feministische Beratung,
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AutorIn: Mag.a Tamara Grundstein
Zuletzt aktualisiert am: 04.06.2015
Artikel-Kategorie(n): Kommentare, News, Selbstbestimmtes Leben
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