Derzeit kann eine Behinderung als Schadensfall gelten, wenn der behandelnde Arzt die Diagnose nicht richtig gestellt hat. Nun ist ein Gesetz geplant, das festhält, dass behinderte Kinder niemals ein Schadensfall sind.
Mit Juni 2011 soll eine Gesetzesänderung in Kraft treten, die künftig keinen Schadenersatzanspruch für Eltern behinderter Kinder gegenüber dem Pränataldiagnostiker zulässt, wenn aufgrund falscher Diagnose oder unzureichender Aufklärung durch den Arzt ein Schwangerschaftsabbruch ausbleibt. Dies teile Justizminister Bandion-Ortner noch vor Weihnachten mit.
Anstoß dafür war ein OGH-Urteil, das einen Gynäkologen zu Schadenersatzansrprüchen gegenüber den Eltern eines behinderten Kindes verpflichtete, da nach Ansicht des Gerichtes nicht ausreichend über die Möglichkeit einer dauerhaften Schädigung des Embryos informiert wurde. Der Gesetzgeber möchte mit dieser Gesetzesnovelle festhalten, dass ein Kind, sei es behindert oder nicht, niemals einen Schaden darstellt und deshalb auch kein Schadensersatzanspruch möglich ist.
Körtner: „Unverantwortlich und zynisch“
Ulrich Körtner, Vorstand des Instituts für Ethik un Medizin, lehnt die entsprechende Novelle entschieden ab: „Wer ein Gesetz verabschiedet, das Schadenersatzklagen bei gravierenden Diagnosefehlern, das heißt bei ärztlichem Fehlverhalten ausschließt, handelt unverantwortlich und zynisch“, so Körtner in einem Gastkommentar der Tageszeitung Die Presse. Damit begibt sich der evangelische Theologie in Widerspruch zu seiner Kirchenführung, die das neue Gesetz begrüßt.
Behindertenorganisationen befürworten Novelle
Befürwortet wird die gesetzliche Neuregelung von Behindertenvereinen und kirchennahen Organisationen. Kardinal Schönborn bringt das Grundproblem auf den Punkt: „Kein Mensch ist ein Schadensfall“. ÖVP-Behindertensprecher Franz-Joseph Huainigg betont zudem die enorme Belastung, die drohende Schadenersatzforderungen auf Pränataldiagnostiker ausüben: „Der Druck auf die Ärzte und Ärztinnen war enorm. Sie mussten alles unternehmen, um das Risiko auszuschalten, mit hohen Schadenersatzforderungen konfrontiert zu werden. Dies hatte enorme Auswirkungen auf ihre Berufsausübung und die Praxis der Pränataldiagnostik insgesamt.“ Doch vor allem gehe von einer Qualifizierung behinderter Kinder als Schaden „eine fatale Symbolik“ hervor.
Geplante Novelle reine Symptombekämpfung?
Genau dieses Argument möchte Körtner jedoch nicht gelten lassen: „Auf dem Rücken der Betroffenen wird Symbolpolitik betrieben. Das ist unethisch.“ Diskriminierend sei nicht die Möglichkeit einer Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen, sondern die Ablehnung behinderter Kinder durch die Gesellschaft. Diese werde durch die Gesetzesnovelle jedoch nicht beseitigt. Reine Symptombekämpfung also? Die Abtreibungsgegnerin Martina Kronthaler von Aktion Leben kontert Körtner, dass es kein Recht auf Abtreibung gebe: „Ein Schwangerschaftsabbruch ist grundsätzlich rechtswidrig und nur unter bestimmten Bedingungen straffrei gestellt, ein Recht darauf gibt es nicht.“
Unterstützung von Familien mit behinderten Kindern ausbauen
Während FPÖ-Behindertensprecher Norbert Hofer die Novelle des Schadenersatzrechts begrüßt und als Verdienst der Freiheitlichen darstellt, gibt sich Grünen-Behindertensprecherin Helene Jarmer skeptisch: „Erst wenn geklärt ist, wie eine Abgeltung des behinderungsbedingten Aufwandes bei Kindern mit Behinderungen verbessert wird, kann man beim Schadenersatzrecht etwas ändern“. Der Tenor von allen Seiten lautet jedenfalls, dass die materielle Absicherung von Familien mit behinderten Kindern verbessert werden muss.
AutorIn: Redaktion
Zuletzt aktualisiert am: 26.08.2020
Artikel-Kategorie(n): Behindertenpolitik, Eugenik und Menschenwürde, News
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