Thomas Stix gibt Einblick in das Leben mit Persönlicher Assistenz. Personen mit Behinderung werden hierbei bei allen Handgriffen unterstützt, die sie alleine nicht erledigen könnten. Für Herrn Stix bedeutet Persönliche Assistenz die Möglichkeit, als Unternehmer tätig zu sein. Ohne diese Hilfestellung müsste er in einem Pflegeheim leben und könnte kein selbstbestimmtes Leben führen.
Das Interview führt Martin Habacher (mabacher.com).
Produktion: Ernst Spiessberger (zitronenwasser.com).
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H: Herzlich willkommen! Mein Name ist Martin Habacher und ich bin heute zu Gast bei Herrn Stix Thomas. Der gewährt nicht nur mir sondern auch Ihnen einen sehr persönlichen Einblick in sein Leben mit Assistenz.
Hallo, Herr Stix! Danke für die Einladung!
S: Grüß Gott, Herr Habacher!
H: Sie leben mit Persönlicher Assistenz. Wie schaut sowas aus?
S: Ich lebe jetzt schon sehr lange mit Assistenz. Wenn ich’s zusammen zähle, dann werden’s schon über 16 Jahre. Diese Form der Assistenz hat sich mit der Zeit entwickelt, das war nicht von Anfang an ein stehendes System, sondern es hat sich mit der Zeit immer verbessert, hat sich mit der Zeit erweitert und ist jetzt auf einem Niveau, wo ich sagen kann, ich hab ein sehr stabiles System, ich hab sehr sehr verlässliche Leute, die auch sehr lange bei mir arbeiten mittlerweile, und kann damit ein selbstbestimmtes Leben leben.
H: Vielleicht sollten wir zuerst einmal abklären: Der Begriff „Assistenz“ ist ja immer mit Geschäftsassistenz und Chefassistenz gleich gesetzt. Was heißt Assistenz im Zusammenhang mit Persönlicher Assistenz?
S: Also im Kontext einer Behinderung heißt Persönliche Assistenz dass eben Leute, die man selbst ausgewählt hat, die man selbst… mit denen man sich selbst die Arbeit vereinbart, dass die einfach diese Handgriffe machen, die man wegen der Behinderung nicht selbst erledigen kann. Und das geht von… also da ist JEDER Handgriff bei mir gemeint… das geht von Zähne putzen, Zahnbürste reichen… bis Essen machen… Unterstützung beim Aushusten, beim Spucken… das geht… im Bett beim Niederlegen die Beatmungsmaske anlegen usw…
H: Müssen die Menschen medizinisch geschult sein oder eine Ausbildung haben?
S: Diese Assistenten haben keine Ausbildung bzw. müssen keine Ausbildung haben, sondern die Ausbildung, die sie brauchen, die bekommen sie direkt von mir. Ich schule die Leute ein bzw. ein Assistent, der schon länger bei mir arbeitet, der zeigt die Handgriffe vor, und so lernt das der Assistent in einem Prozess.
H: Und das funktioniert seit 16 Jahren…
S: Das funktioniert seit 16 Jahren.
H: Was wär jetzt die Alternative? Sagen wir, es gäbe keine Persönlichen Assistenten, wir würde Ihr Leben dann wahrscheinlich aussehen – oder Ihrer Meinung nach aussehen?
S: Also die Alternative derzeit für Menschen mit sehr sehr hohem Unterstützungsbedarf und einer entsprechenden Diagnose, das ist eine Pflegestation.
H: Ich will mir gar nicht vorstellen, was das heißt.
S: Das ist klarerweise ein Bereich, der total fremdbestimmt ist, der halt einen gewissen Rhythmus vorgibt, in dem das Leben eingeteilt ist, und der es halt auch nicht ermöglicht, mit der Betreuungsperson hinaus zu gehen, weil die ja in der Pflegestation sein müssen.
H: Das heißt, in einer Pflegestation würde dann einfach nur gelebt werden – oder halt überlebt werden.
S: Es ist halt klarerweise auf eine körperliche Versorgung ausgerichtet, und diese nach objektivierten Standards, nicht nach persönlichen Bedürfnissen.
H: Wer Ihnen jetzt begegnet – wir kennen uns ja schon länger – wer Sie das erste mal sieht hat wahrscheinlich die Vermutung: na, was kann er schon groß machen… außer immer zuhause sitzen und fernsehen…? Wie sieht’s wirklich aus? Sind Sie berufstätig?
S: Ich bin selbständiger Unternehmer. Ich betreibe eine Internetplattform im Bereich Personal Recruiting, die heißt behindertenarbeit.at.
H: Ok. Und für wen ist die gedacht? Welche Jobs gibt’s da?
S: Die ist halt für den Sozialbereich, und hauptsächlich gibt’s hier Jobs im Behindertenbereich.
H: Für behinderte Menschen oder für nicht-behinderte Menschen?
S: Für Menschen, die für behinderte Menschen arbeiten, für Menschen, die im Behindertenbereich arbeiten.
H: Wenn ich das richtig verstanden habe, brauchen Sie viel Assistenz.
S: 24 Stunden
H: 24 Stunden, das heißt, es ist immer irgendeine Person, die nicht verwandt oder in einer romantischen Beziehung mit Ihnen ist, rund um die Uhr ganz eng an Ihnen dran.
S: Genau.
H: Das heißt, die leben mit Ihnen dann…?
S: Nein, das Team… die wechseln sich ab, da gibt’s ein Dienstrad, und die haben ein Assistentenzimmer, wo sich die Assistenten auf Bereitschaft zurückziehen, wenn ich sie gerade unmittelbar nicht brauche.
H: Es kann auch sein, dass Sie um 4 Uhr morgens im Schlaf wen brauchen könnten?
S: Genau. Natürlich brauch ich unbedingt jemanden, weil ein Beatmungsgerät läuft während der Nacht, und ich auch wegen der Schmerzen – je nach dem wie’s mir geht – umgelagert werden muss.
H: Ok, Sie läuten dann oder wie funktioniert das?
S: Je nachdem… ich hab eine Glocke, und auch das Beatmungsgerät gibt Alarm wenn etwas nicht passt…
H: Das heißt, der Assistent kann nicht schlafen.
S: Der Assistent muss ständig bereit sein.
H: Und wie ist das so, wenn Sie jetzt… ich weiß das aus meinem eigenen Leben – oder jeder kennt das, es gibt Dinge, die man nur sehr ungern aus der Hand gibt, zum Beispiel die eigene Geldbörse oder Schauen ins Handy oder der Code der Bankomatkarte… wie machen Sie das?
S: Ja, das alles tut der Assistent auch, deswegen ist ein sehr, sehr großes Vertrauensverhältnis wichtig…
H: Zu 12 anderen Menschen oder so…
S: Zu 5 anderen Menschen. Und es ist wichtig, dass die Leute lange bei mir arbeiten, weil dann dieses Vertrauensverhältnis viel besser funktioniert, wie wenn ich die Leute ständig wechsle, ja, und dann halt immer wieder von vorne anfangen muss.
H: Das ist ja dann auch wegen der Einschulung…
S: Bis ein Assistent bei mir wirklich fit ist, dauert es mindestens ein Jahr…, weil die Arbeiten, die Tätigkeiten teilweise so auf den Millimeter genau funktionieren müssen, bis ich richtig sitze, bis der Körper positioniert ist, bis alles im Lot ist, bis die Hose passt… das sind so Kleinigkeiten, die mal alle machen muss. Eben dieses Vertrauen, das ist einfach das wichtigste, dass ich mich auf diese Person verlassen kann.
H: Das heißt, die Assistenten wissen alle Bankverbindungen irgendwann, Passwörter für’s Internet, und so Sachen…
S: Die wissen den Bankomatcode, die wissen die Kreditkartennummer… Ich kann nicht allein den Bankomat bedienen, das funktioniert nicht.
H: Das ist eigentlich schon ein großes „Opfer“ für Mobilität und Unabhängigkeit.
S: Ja, aber es gibt ja keine Alternative… Du kannst sagen, ja, ich will das nicht… was dann? Das ist eine Notwendigkeit, das ist ja kein Spaß, den ich mir aussuche.
H: Und Sie würden’s auch nicht eintauschen wollen…
S: Auf keinen Fall. Und was natürlich dazu gehört ist, dass Assistenten fair bezahlt werden, weil… nur dann funktioniert es, dass Leute längerfristig bei mir bleiben, weil die Arbeit doch hart ist, die ist kein Kinderspiel. Persönliche Assistenz… hat ja eine sehr – würd ich mal sagen – große Spannweite. Das reich von: „Ich brauch jemand, der für mich auf der Uni mitschreibt und den Kopierer bedient, den Rest kann ich selbst.“ Bis hin zu: „Ich brauch jemand, der mit mir auf die Toilette geht und mich dann sauber macht.“ Das reicht von wenig bis ganz viel.
H: Herr Stix, vielen Dank für die Führung durch ihr Leben mit Persönlicher Assistenz. War sehr interessant. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag und… Danke.
S: Bitte, gerne.
Quelle: Sendung ohne Barrieren
AutorIn: Sendung ohne Barrieren
Zuletzt aktualisiert am: 20.07.2015
Artikel-Kategorie(n): Media Tipp, News, Persönliche Assistenz
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