Das Thema Behinderung scheint ein Buch mit sieben Siegeln zu sein. Möchte man meinen. Wir stellen zwei Coaches vor, die selbst eine Behinderung haben, und erfahren, wie man seinen Horizont erweitern und davon profitieren kann.
Die platte Frage, wie oder was der richtige Umgang mit Behinderung bzw. mit behinderten Menschen ist, hat sich wohl schon jeder einmal gestellt. Es geht ja schon los mit dem Begriff „Behinderung“. Und dazu fällt vielen wahrscheinlich ein: „Wir sind nicht behindert, wir werden behindert!“ – Das bedeutet, Behinderung hat eine soziale Dimension: weg von der defizitorientierten Sichtweise hin zur gesellschaftspolitischen. Aber dann gibt es wiederum Situationen, wo die Diagnose sehr wohl gemeint oder zumindest mitgemeint ist. Die Begrifflichkeiten sind also situationselastisch zu verwenden und zu verstehen. Gar nicht so einfach.
„Wie schnell fährt dieser Rollstuhl?“
Und falls es dann vorkommt, dass man auf einen behinderten Menschen trifft, was macht man dann? Wie reagiert man richtig? Hinschauen? Wegschauen? Notiz nehmen oder doch so tun, als wäre da gar nichts? Ein lockerer Spruch vielleicht á la „Wie schnell fährt dieser Rollstuhl?“ – Dann reduziert man den behinderten Menschen auf den Rollstuhl! Und außerdem: Wie oft hat der diese dumme Frage wohl schon gehört?! Vielleicht doch lieber über das Wetter reden…
Wer nicht selbst behindert ist, der wird nie verstehen, wie das ist. Das ist einfach eine Tatsache. Aber es ist möglich, über das Thema Behinderung etwas zu lernen. Es ist möglich, diesem Thema durch Erfahrungsaustausch näher zu kommen. Gerade im beruflichen Umfeld ist ein professioneller Umgang mit dem Thema Behinderung wichtig – sei es mit behinderten KollegInnen, Vorgesetzten oder KundInnen bzw. Geschäftspartnern.
Die „andere Seite“ kennen lernen
Hilfreich sind in diesem Zusammenhang sg. Awareness Trainings, bei denen in Gruppen zusammen mit einer Trainerin oder einem Trainer mit Behinderung das Thema erarbeitet wird.
Beim Diversity Training von Michael Sicher etwa geht es darum, „die andere Seite“ kennen zu lernen – und zwar hautnah. Dies sollen nichtbehinderte Menschen dadurch „zu spüren bekommen“, indem sie sich in den Rollstuhl setzen und bestimmte Wege und Aufgaben im öffentlichen Raum oder dem eigenen Unternehmen erledigen. „Durch das eigene Erleben von Situationen aus beiden Perspektiven und gegenseitigen Erfahrungsaustausch erweitert sich die Sichtweise und die Teilnehmer werden selbstsicherer im Umgang mit Menschen mit Behinderung.“, so systemischer Coach und Unternehmensberater Michael Sicher.
Durch Unwissenheit bleiben Chancen ungenutzt
Einen ähnlichen Ansatz finden wir bei den Trainings von Dorothea Brozek. Die Dipl. Lebens- und Sozialberaterin und Supervisorin bietet maßgeschneiderte Angebote zu den Themenbereichen Kommunikation und Umgang mit Vielfalt mit Fokus auf Diversity Competence, Disability und Equal Rights. Behinderung versteht Brozek vor allem als eine politische Angelegenheit, und mit dem vielzitierten Paradigmenwechsel soll ein Wechsel vom medizinischen hin zum sozialen Modell von Behinderung vollzogen werden. Bei den Gruppentrainings geht es sowohl um theoretische Grundlagen als auch um konkrete Alltagssituationen im beruflichen oder privaten Umfeld.
„Viele Menschen sind unsicher im Umgang mit behinderten Menschen, dadurch kommen oft Begegnungen nicht zustande, und viele Chancen bleiben ungenutzt“, so Dorothea Brozek über ihre Motivation, in Form von Gruppentrainings Barrieren aufzuzeigen und abzubauen. Dabei geht es bei den Barrieren nicht nur um Stufen oder fehlende Aufzüge, sondern um zwischenmenschliche Barrieren, die durch Unwissenheit und subtile Ängste hervorgerufen werden.
Es kann also gelernt werden. Und es soll auch gelernt werden, da der Umgang mit Behinderung und behinderten Menschen vor allem im beruflichen Umfeld professionell ablaufen soll, um alle Chancen und Möglichkeiten für „beide Seiten“ optimal zu nutzen.
AutorIn: Redaktion
Zuletzt aktualisiert am: 16.06.2017
Artikel-Kategorie(n): Bildungsnews, News
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