Die Terroranschläge in Paris am 13. November 2015 machen ganz Europa zu tiefst betroffen. Fassungslosigkeit und auch Ratlosigkeit machen sich breit. Und sofort wird der Ruf nach mehr Polizei und mehr Militär laut. Kann damit wirklich nachhaltig Sicherheit und Frieden erreicht werden?
Mir bereitet dieser reflexartige Ruf nach einer Aufstockung der Exekutive, der Geheimdienste und der Armee große Sorgen. Ich bin kein Experte auf diesem Gebiet, und ich kann den Wunsch nach Sicherheit verstehen, ich befürchte jedoch, dass diese Sicherheit nicht nachhaltig durch Polizei- und Militärgewalt herbei geführt werden kann.
Ich habe in den letzten Tagen viele Nachrichten gelesen und gesehen, und eine Ursache, warum radikale Gruppierungen immer mehr Zulauf erhalten, ist die fehlende Zukunftsperspektive für viele junge Menschen in Europa, darüber scheinen sich viele Experten einig zu sein. Im Endeffekt kommt es darauf hinaus: Es gibt zu wenig Arbeit!
Aber gibt es wirklich zu wenig Arbeit? Was bedeutet dieser Satz eigentlich: Es gibt zu wenig Arbeit? Ich sage: Es gibt nicht zu wenig Arbeit! Es gibt sehr viel zu tun! Nur ein einziges Beispiel, weil ich mich auf diesem Gebiet gut auskenne: In Österreich gibt es, wenn man es von der Pflegegeld-Statistik aus schätzt, etwa 20.000 behinderte Menschen, die eine Rund-um-die-Uhr-Assistenz benötigen würden. Für Persönliche Assistenz 24 Stunden am Tag sind 5 Vollzeitstellen notwendig. D.h. um nur für die am schwersten behinderten Menschen in Österreich menschenrechtskonforme Assistenz zu gewährleisten, wären 100.000 AssistentInnen (100.000 Vollzeit-Arbeitsstellen) notwendig!
Es gibt zu wenig Arbeit? Mein Beispiel bezog sich auf behinderte Menschen. Es gibt jedoch noch viel mehr zu tun: in der mobilen Altenarbeit, im Bereich Palleative Care, in der Kinderbetreuung, in der klassischen Sozialarbeit, im Bildungsbereich… Das sind sehr oft Arbeitsformen, wo der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle spielt: Wieviel Zeit habe ich für den Patienten, Klienten, Kunden…?
Soziale Arbeit macht Sinn! Und das in vielerlei Hinsicht. Junge Menschen, die im Sozialbereich tätig sind, werden gebraucht, haben Kontakt zu Menschen, für die sie sehr wichtig sind. Mehr soziale Arbeit setzt eine Nicht-Gewalt-Spirale in Gang. Behinderten und alten Menschen wird durch fehlende Assistenz und Betreuung nämlich auch Gewalt angetan, diese strukturelle Gewalt kann durch mehr soziale Arbeit minimiert werden. Gleichzeitig wird den im sozialen Bereich Beschäftigten Wertschätzung und Anerkennung zu Teil, was zur Folge hat, dass diese (jungen) Menschen viel weniger anfällig sein werden für radikale Gedanken.
Ich bin überzeugt davon, dass soziale Arbeit ein wesentlicher Baustein für eine friedliche, sichere und lebenswerte Gesellschaft ist. Ich hoffe, dass die Politik das erkennt und dass sie massive Anstrengungen unternimmt, damit mehr Arbeitsplätze im sozialen Bereich geschaffen werden können.
AutorIn: Thomas Stix
Zuletzt aktualisiert am: 18.11.2015
Artikel-Kategorie(n): Kommentare, News, Soziale Arbeit und Begleitung
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