Nach heftiger Debatte wurde eine Reform des Kündigungsschutzes beschlossen. Behindertenvertreter jubeln, Gewerkschafter schlagen Alarm. Beide scheinen jedoch im Irrtum zu sein, denn an der konkreten Situation ändert sich wenig.
Mit 1. Jänner 2011 trat die hitzig diskutierte Reform des Kündigungsschutzes für sog. begünstigte Behinderte, also Arbeitnehmer mit einem Behinderungsgrad von mindestens 50 Prozent, in Kraft. Die Gesetzesnovelle soll die Vermittelbarkeit von behinderten Menschen steigern, indem bürokratische und arbeitsrechtliche Hemmnisse bei der Kündigung abgebaut werden. Bislang mussten behinderte Arbeitnehmer über ein Verfahren beim Bundessozialamt gekündigt werden, so sie mindesten sechs Monate in einem unbefristeten Dienstverhältnis standen. Der Ausgang des Verfahrens war für die Arbeitgeberseite höchst ungewiss. Es fehlte an Rechtssicherheit und so wurde die Anstellung von Menschen mit Behinderung zu einem unkalkulierbaren wirtschaftlichen Risiko. Das Gros der Unternehmer und Personalverantwortlichen zog es deshalb vor, gänzlich auf behinderte Arbeitnehmer zu verzichten. Doch auch in Beschäftigung befindliche behinderte Arbeitnehmer musste die Zeche mitzahlen, denn Beförderungen, überkollektivvertragliche Entlohnung und eine normale Karrierekurve blieben mit diesem Wettbewerbsnachteil gegenüber Nichtbehinderten zumeist aus. Neben der Arbeitgebervertretung wurde die Forderung nach einer Reform des Kündigungsschutzes deshalb vor allem von selbst Betroffenen und Behindertenverbänden vertreten.
Gewerkschaft in Alarmzustand
Vehement wurden jegliche Veränderungen jedoch lange Zeit von Gewerkschaftern und Betriebsräten abgelehnt. Sie warnten vor einem Dammbruch in der arbeitsrechtlichen Absicherung behinderter Arbeitnehmer und einer steigenden Arbeitslosigkeit in der betroffenen Gruppe. Kritiker der Gewerkschaftsposition unterstellten den Arbeitnehmervertretern jedoch eigene Interessen mit der Verteidigung des Kündigungsschutzes zu verfolgen, da die aufwändige und kostspielige Kündigung behinderter Arbeitnehmer einen erheblichen Machtfaktor der Interessenvertreter im Unternehmen darstellte. Die Fronten waren lange verhärtet und es bedurfte eines gestandenen Gewerkschafters im Ministersessel des Sozialressorts, ehe zwischen den Konfliktparteien ein Minimalkompromiss erarbeitet werden konnte. Die von Bundesminister Hundstorfer erarbeitete Novelle ist dementsprechend komplex:
Widersprüchliche Signale an die Wirtschaft: Lockerungen und Verschärfungen
Der Kündigungsschutz tritt für Dienstverhältnisse, die nach dem 1. Jänner 2011 begründet werden, erst nach vier Dienstjahren in Kraft. Die Frist für eine allfällige Kündigung ohne arbeitsrechtliche Sonderbestimmungen wurde somit verachtfacht. Sucht ein Arbeitnehmer allerdings erst während eines aufrechten Dienstverhältnisses um Einstufung nach dem Behinderteneinstellungsgesetz an, bleibt jedoch die sechsmonatige Frist wie bisher aufrecht. Hier wollte der Gesetzgeber offensichtlich älteren Arbeitnehmern entgegenkommen, deren Gesundheitszustand sich im Laufe der Beschäftigung verschlechterte. Und sogar eine Verschärfung des Kündigungsschutzes befindet sich im Gesetzespaket: Für Geschädigte nach Arbeitsunfällen treten die Sonderbestimmungen künftig ohne Frist sofort in Kraft. Bisher konnten sich Arbeitgeber von im Betrieb verunfallten Arbeitnehmern ohne besonderen Schutzbestimmungen trennen. Weiterhin in Genuss des Kündigungsschutzes, samt allen Nachteilen auf der Karriereleiter, bleiben freilich jene Arbeitnehmer, die bereits vor dem 1. Jänner 2011 ihr Dienstverhältnis eingegangen sind.
Kündigung behinderter Arbeitnehmer weiterhin höchst schwierig
Während die Verlängerung der Wartefrist auf den Kündigungsschutz die Vermittelbarkeit behinderter Arbeitnehmer steigern könnte, türmen sich jedoch von anderer Seite schon wieder neue Hemmnisse auf: Die Anti-Diskriminierungsrichtlinien der EU stärken das schon bestehende Verbot einer Kündigung wegen Behinderung. Experten fürchten, dass sich immer mehr behinderte Arbeitnehmer auf diese Schutzmechanismen berufen werden und dadurch die Kündigung noch erhebliche schwieriger ablaufen könnte als im Verfahren am Bundessozialamt. Der Arbeitsrechtsexperte Andreas Tinhofer weist in einem Gastkommentar in der Wiener Zeitung vom 8. Jänner 2010 darauf hin, dass „solche Diskriminierungsverfahren nur dann gewonnen werden, wenn der Nachweis eines sachlichen Kündigungsgrundes gelingt“. Der Unternehmer findet sich in derartigen Verfahren meist in einer äußerst schwachen Position, da die Beweislast nicht beim Arbeitnehmer, sondern beim Arbeitnehmer liegt. Weiters betont Tinhofer die Problematik „sozialwidrigen Kündigung“: Im arbeitsrechtlichen Verfahren werden die wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers mit jenen des Arbeitnehmers abgewogen. Fällt dies zu Gunsten des behinderten Arbeitnehmers aus, der in vielen Fällen paradoxer Weise auf die de facto Unvermittelbarkeit am freien Arbeitsmarkt ausgerechnet aufgrund er arbeitsrechtlichen Situation verweisen kann, hat der Arbeitgeber das Nachsehen. Tinhofer befürchtet, dass „der Wegfall des besonderen Kündigungsschutzes durch den sozialen Kündigungsschutz wohl weitgehend kompensiert“ wird.
Schutz statt Chancen
Ob angesichts dieser verqueren Gesetzeslage nennenswerte Impulse am Arbeitsmarkt für behinderte Menschen zu verzeichnen sein werden, scheint höchst ungewiss. Eine Chancengleichheit behinderter Arbeitnehmer scheint weiter in Ferne gerückt zu sein denn je. Die Anstellung eines behinderten Menschen ist damit weiterhin dem Goodwill einzelner Unternehmer und Personalverantwortlicher vorbehalten.
AutorIn: Redaktion
Zuletzt aktualisiert am: 08.01.2017
Artikel-Kategorie(n): Arbeitsintegration und unterstützte Beschäftigung, Behindertenpolitik, News
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