Macht es Sinn, „unrealistisch“ zu sein? Oder: wenn heute realistisch ist, was gestern unrealistisch war, kann dann auch morgen das heute unrealistisch scheinende Realität werden? Ein Kommentar von Thomas Stix.
Manchmal werde ich mit dem Vorwurf konfrontiert, dass meine behindertenpolitischen Forderungen zu radikal und viel zu „unrealistisch“ wären. Vieles könne „einfach nicht verwirklicht“ werden oder gehe „an der Realität vorbei“.
Ich nehme mir die Freiheit bzw. sehe es sogar als meine Pflicht, die Umsetzung von – scheinbar – visionären Gedanken zu fordern, da ich am eigenen Leib und im eigenen Leben schon oftmals erfahren habe, dass etwas Realität werden kann, was von einer großer Mehrheit – und auch sehr oft von ProfessionistInnen – als „unrealistisch“ erachtet worden ist.
Seit meiner Geburt lebe ich mit einer fortschreitenden Muskelerkrankung. Meine Lebenserwartung wurde damals von Ärzten auf 6 Jahre geschätzt. Geraten wurde meinen Eltern dringend, mich in institutionelle Betreuung zu geben, um eine bestmögliche Therapie zu gewährleisten. Diese entschieden sich jedoch für meinen Verbleib zuhause. Ergeben hat sich dann – durch verschiedene glückliche Umstände – eine „wilde Integration“ (heute würde man dazu „Inklusion“ sagen) in die örtliche Regelschule, und in der HAK dann sogar eine „illegale Integration“, da nämlich für mich eigentlich die Integrationsschule in der Wiener Ungargasse vorgesehen war und nicht die Bundeshandelsakademie Vöcklabruck!
Danach Arbeit, Studium, Kampf um Geld für 24 Stunden/Tag Persönliche Assistenz (der Schritt für Schritt schließlich erfolgreich war) und jetzt selbstständiger Kleinunternehmer. Eine Kurzbiografie, die niemand – außer wenige Menschen um mich und ich selbst – vor 35 Jahren als realistisch bezeichnet hätte.
Die Behindertenpolitik steht immer wieder vor neuen Aufgaben, und die Latte muss mit jedem Mal, wenn ein Ziel erreicht worden ist, erneut höher gelegt werden. Ich möchte mit meinen „unrealistischen“ Forderungen und Ideen einen Anstoß geben, damit etwas weitergeht.
Ich kenne sicher nicht die Lösung für alle Probleme, die in diesem Zusammenhang zu bewältigen sind, dafür gibt es viele andere ExpertInnen, aber ich weiß, dass „unrealistische“ Ideen Wirklichkeit werden können. Und ich hoffe, dass immer mehr und mehr Menschen anfangen, an „unrealistische“ Zukunftsideen zu glauben, und gemeinsam daran arbeiten, diese zu verwirklichen.
[Schreiben Sie mir Ihre Meinung an thomas.stix@behindertenarbeit.at!
Ich freue mich über regen Austausch.]
AutorIn: Thomas Stix
Zuletzt aktualisiert am: 04.06.2015
Artikel-Kategorie(n): Kommentare, News
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