Was läge näher, als Art Brut mit dem Gedanken von „Diversity & Inclusion“ in Verbindung zu bringen? Art Brut wird zunehmend als Vorzeige-Beispiel für das Gelingen von Inklusion herangezogen.
Inklusion beschreibt eine Strömung, die der gesellschaftlichen Mitte erwächst und quasi von innen heraus Strukturen und Rahmenbedingungen bildet, unter denen sich alle – gemäß ihrer Möglichkeiten und Voraussetzungen – entfalten können.
Mit dem kontinuierlich steigenden Marktwert von Art Brut gilt es nun Fragen nach der Angemessenheit des bislang erreichten inklusiven Selbstverständnisses zu stellen. Wer profitiert wie von den Leistungen der KünstlerInnen? Wie werden Urheberrechte, Verkaufserlöse etc. abgehandelt? Dürfen Art Brut KünstlerInnen sich von Kunst inspirieren lassen? Wie randständig soll oder muss Art Brut an sich sein? Welche tradierten Bilder von psychisch kranken bzw. behinderten Menschen werden reproduziert? An welchen Stellen unterscheiden sich Art Brut KünstlerInnen doch von „anderen“ KünstlerInnen? Wie wird mit ihrer Individualität umgegangen? Wie manifestiert sich der Umgang im „über sie sprechen“?
„Ableism“ ist der Oberbegriff für die Abwertung von behindertem Mensch-Sein. Dieser Vorwurf steht nun sicher nicht im Raum. „Behindertenfeindlichkeit“ zeigt sich aber nicht nur im grellen Licht der herabwürdigenden Vorführung, sondern auch in mildtätiger und überfürsorglicher Zuwendung. Oder in überhöhter künstlerischer Bewunderung und dem Ausblenden der tatsächlichen Lebenssituationen – im Abspalten der „Privatsache“ Behinderung und den damit verbundenen Konsequenzen.
Es scheint, als würden die erfreulich raschen Entwicklungen der „Art Brut Szene“ manchmal vergessen lassen, wie schmal der Grat zwischen Ausgrenzung und Teilhabe ist. In bester Absicht – oder mangels besseren Wissens – werden inklusive Ansätze ignoriert. Stattdessen werden defizitäre Integrationsideologien in einem neuen Kleide präsentiert bzw. weiterhin bestätigt. Etwas weniger „paternalistische Hudelei“ würde der Teilhabe aller gut tun.
Der geschärfte Blick auf Diversity – die Vielfalt als solches – erhellt zusätzlich: Wer repräsentiert gegenwärtig Art Brut? Sind Frauen mit Behinderungen weniger talentiert? Ist es für mehrfach behinderte gehörlose Künstler nicht notwendig, Förderung in Gebärdensprache zu erfahren? Gegenwärtig scheinen die Grenzen der Teilhabe „aller“ schnell erreicht.
Wie nun Grenzen richtiggehend ver-rücken? Mehr Buntstifte für alle? Letztlich doch draußen zu bleiben ist keine Kunst – gemeinsam stimmige inklusive Arrangements zu bilden, ganz bestimmt. Der Kreativität sind an sich keine Grenzen gesetzt.
Norbert Pauser
Zuerst erschienen in: Rieger, H. (Hg.): Kunst, die verbindet. AQ-Verlag, Wien S. 142-143
AutorIn: Norbert Pauser
Zuletzt aktualisiert am: 29.05.2015
Artikel-Kategorie(n): Gleichstellung und Antidiskriminierung, Kommentare, News
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