Für die 21. Sendung hat sich Thomas Stix als Gesprächspartner Norbert Pauser von Diversity & Inclusion Consulting eingeladen. Gemeinsam unterhalten sie sich über die Themen Diversität, Inklusion und Non-Profit-Organisationen.
Links
[Artikel auf behindertenarbeit.at – Sind NPO Vorreiter in Sachen Vielfalt?]
Audioscript
TS: Sie sind seit über 10 Jahren mit diesem Thema [Diversität] beschäftigt, haben ein eigenes Beratungsunternehmen… Wie ist es dazu gekommen, das Interesse für dieses Thema und dieses Gebiet dann so auszubauen?
NP: Ich war 2002 sehr erleichtert, als ich das erste Mal das Wort „Diversity“ gelesen hab, ich wusste nämlich davor gar nicht, dass es das gibt, und ich glaube, in Wirklichkeit ist es das, was ich mein ganzes Leben lang eigentlich getan hab. Ich hab sehr früh ein Unrechtsempfinden entwickelt – oder ein Gerechtigkeitsempfinden, je nachdem – und war in der Schule mit jemandem befreundet, den man sprichwörtlich in den Mistkübel gesetzt hat. Das ist mir sehr schwer gefallen, das anzuschauen und auszuhalten, und ich hab beschlossen, dass er ein Freund von mir wird, und über unsere Freundschaft wurde dann sowas wie Integration in den Klassenverband möglich. Das war das Selbstverständlichste der Welt für mich. Ich hätt auch gar nicht gewusst, welche Strategien ich entwickelt hab, außer dass ich mich befreundet hab mit ihm und über diese Freundschaft so eine Integration in den Klassenverband ermöglicht hab. Es hat sich dann weiter entwickelt – auch beruflich – ich war ja damals der erste Arbeitsassistent für gehörlose Menschen in Österreich, bin in Niederösterreich und Burgenland unterwegs gewesen, und hab eigentlich damals schon „Diversity“ gemacht, wenn man so möchte – warum? – weil ich z.B. eine junge Frau, die Frisörin werden wollte, nicht daran gehindert hab, diesem Berufswunsch nachzugehen. Und was ich gemacht hab damals mit ihr, war eine Liste von Argumenten: Warum ist eine gehörlose junge Frau möglicherweise ein guter Frisörlehrling. Und wir haben in dieser Liste funktionale Argumente für die Diversität entwickelt, d.h. wir haben uns angeschaut: wo nützt die Vielfalt? Und wir haben inklusive Argumente entwickelt, d.h. wo gibt’s einfach auch den Aspekt an der Sache, dass es gerecht ist, dass eine Gehörlose auch Frisörin werden kann, oder dass es auch ein spannendes Lernen miteinander sein könnte, ohne dass jetzt ein unmittelbarer Nutzen damit verbunden ist.
TS: Wenn ich jetzt als Unternehmensboss mir mal überleg… Diversity?… ja, ok, jetzt muss ich da einen Rollstuhlfahrer reinnehmen und vielleicht eine Muslima… mach ich das? Ok, ich mach das… und nach der Diversität brauch ich dann wieder was, nämlich die Inklusion, damit das zusammen geht. Und dann sag ich, Gotteswillen! Das kostet Geld, das kostet Aufwand! Ich spar mir das. Ich verzichte auf die Diversität, dann brauch ich auch die Inklusion nicht…
NP: Es ist ein vielschichtiges Phänomen. Es zeigt sich, dass jene Organisationen, die Diversität gut managen, die sich zu Inklusion entschlossen haben und entschieden haben, dass die gute Erfolge damit erzielen können, in vielerlei Hinsicht gute Erfolge. Es zeigt sich aber auch, dass, wenn Heterogenität, also Vielfalt, ihren Charme hat, dann hat auch Homogenität, also Gleichheit, ihren Charme. Und die Organisationen, die Unternehmen, die Institutionen sind Jahrhunderte lang bestens erprobt, wenn’s um Arrangements geht, die sie treffen, wenn Vielfalt ins Spiel kommt. Homogenität und Gleichheit und „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ sind Ansätze, die uns sehr vertraut sind, und die sehr gut funktionieren. Und auf der anderen Seite ist Vielfalt, Pluralität, Individualismus… das sind relativ junge Phänomene, und es zeigt sich aber eines jedenfalls schon, wenn das gut gemanaget ist, funktioniert das auch sehr gut. Organisationen und Unternehmen oder so wie Sie’s angesprochen haben, der Boss quasi, der Boss neigt dazu, das zu tun, was er gelernt hat und was er immer gemacht hat, er wird schauen, dass er möglichst wenig Komplexität ins Spiel bringt, er wird immer wieder versuchen, Komplexität zu reduzieren. Das Neue an der Diskussion ist, wenn wir Komplexität reduzieren, wenn wir uns die Dinge einfacher machen in Organisationen, dann geht das meistens zu Ungunsten bestimmter Vielfalen aus. Und, so wie Sie’s formuliert haben, was hätten wir davon, eine Muslima zu nehmen, was hätten wir davon, einen Rollstuhlfahrer zu nehmen… und und und… da muss man sich die Frage stellen: was hat man davon, wenn man’s nicht tut? Was ist der vermeintliche Nutzen? Und der ist zunehmend überschaubar – Warum? Weil wir eine unglaublich diversifizierte Gesellschaft vorfinden. Und Unternehmen kommen zunehmend drauf, dass sie, wenn sie ganz viele Exklusionen forcieren, wenn sie ganz viele bestimmte Diversitäten ausschließen, dann fehlt ihnen letzten Endes irgendwas.
TS: Es gibt eine Studie von vorigem Jahr, wo Sie 10 Non-Profit-Unternehmen hinsichtlich Diversität untersucht haben. Und da waren die Ergebnisse sehr unterschiedlich, da kann man nicht sagen, NPOs gehen einen Weg… so pauschal.
NP: Das kann man nicht sagen, ganz und gar nicht. Wir haben 10 Non-Profit-Organisationen untersucht, die sich samt und sonders für gesellschaftliche Inklusion einsetzen. Und das ist das bemerkenswerte Paradox an der ganzen Diskussion: Diese 10 Non-Profit-Organisationen haben zwar den Wunsch, gesellschaftliche Inklusion zu erreichen, sind aber durchaus zögerlich, wenn’s darum geht, diversitäts-durchlässig in ihren eigenen Reihen zu sein. Und das bemerkenswerte war, und das war eines meiner Haupterkenntnisse aus dieser Studie, dass Organisationen, die sich in bestimmten Diversitätsdimensionen engagieren, diese Diversitäten funktionalisieren. Sie erachten sie als brauchbar, sie brauchen sie für ihre Zielsetzungen, und gleichzeitig sind sie nicht sehr großzügig, wenn’s um vermeintlich nicht-brauchbare Diversitäten ging. D.h. eigentlich sind diese untersuchten Non-Profit-Organisationen nur ein Spiegelbild unserer gesamtgesellschaftlichen Ordnung, sie sind in keinster Weise zusammen genommen Pionierinnen oder Treiberinnen der Vielfalt. Sie nehmen eigentlich dieselben Argumente her, Diversität zu realisieren oder eben nicht, wie die gesamte Wirtschaft das im allgemeinen tut. Die organisationsdemografischen Zahlen haben eine ganz eigene Sprache gesprochen. Wir haben – nur als ein Beispiel – in Wien einen Anteil von 40% Menschen mit Migrationshintergrund, wenn man das so sagen kann, unser Messkriterium war 1. und 2. Generation Migrationshintergrund, also durchaus ein klassischer Ansatz, und das Problem dabei war, dass in diesen Non-Profit-Organisationen 17% Menschen mit sg. Migrationshintergrund arbeiten, aber nur 2% in Führungspositionen aufscheinen. D.h. der Anteil sinkt eklatant, wenn’s um Führungspositionen geht. Und das zeigt uns, dass Non-Profit-Organisationen aus diesen oder jenen Gründen offensichtlich Mühe haben, Arrangements hervorzubringen, die der Gesellschaft als Vorbild dienen. Und ich befürchte, dass das die große Aufgabe sein wird für uns alle Organisationen, nämlich wenn wir Inklusion realisieren wollen, und wir wissen noch gar nicht, was realisierte Inklusion eigentlich ist, dann werden wir uns auf den Weg machen und mit gutem Beispiel voran gehen. Und wir können uns den Druck nehmen, indem wir Inklusion nicht als eine Utopie uns ausmalen sondern als eine Vision oder als eine Quelle der Inspiration. Und wenn ich Inklusion als Quelle der Inspiration erachte, dann mach ich mir selber unglaublich viele Türen auf und kann spielerisch ausprobieren, und definitiv braucht Inklusion eine Fehlerkultur und eine Fehlertoleranz.
TS: Sie haben erst kürzlich ein Buch präsentiert, das die Praxis der Diversität zum Inhalt hat. Für wen ist dieses Buch jetzt interessant?
NP: Das Buch richtet sich v.a. an Menschen, die schon diversitätserfahren sind, wenn man so möchte. Wir haben ja das Buch bewusst „Die Realisierung von Diversity & Inclusion“ genannt. Es ist ein Praxis-Theorie-Dialog, wenn man so möchte, allerdings immer mit ganz klarem Blick auf die Praxis, und wir haben 3 Kapitel festgemacht: Organisationale Phänomene rund um Diversität, interpersonelle – also das was zwischen Menschen passiert, wenn Diversität sich vollzieht – und intrapersonelle Perspektiven auf Diversität, d.h. wie ist das eigentlich mit meiner inneren Vielfalt. Und es ist sehr interessant, dass sehr viele Menschen sehr schnell bereit sind, die Vielfalt außen festmachen zu können, sie wissen eigentlich genau, was die Vielfalt ist und was sie kennzeichnet, wenn sie aber dann die Innenschau machen, wird’s relativ still. Und die Tragödie daran vielleicht ist ein Stück weit, dass je privilegierter ich bin, umso weniger muss ich mir Gedanken darüber machen, wer ich eigentlich bin, und umso schneller bin ich bereit, eine hierarchische Ordnung zu reproduzieren, zw. mir und den Armen, den Hilfsbedürftigen, den Zu-Integrierenden, den wer auch immer sie sein mögen. Wenn wir draufkommen, dass wir in einem Wechselspiel von Gegenüber stehen permanent, dann heißt das, dass ich als vordergründig nichtbehinderter Mensch durchaus reflektieren kann, was das für Konsequenzen hat, nichtbehindert zu sein und welche neuen Fähigkeiten ich möglicherweise im Umgang mit behinderten Menschen entwickeln könnte. Wenn ich jemanden permanent an der Hand nehm, und ihn/sie versuch gut zu integrieren, dann wird’s schwierig. Und so haben wir mit dem Buch versucht, auf diesen drei Ebenen dem Thema einen neuen Anstrich zu verpassen. Wir haben versucht, keine Rückwärtsschau zu machen sondern viel eher eine Vorwärtsschau, und vielleicht den einen oder anderen kühnen Gedanken ins Spiel zu bringen.
TS: Zum Schluss noch eine Vorwärtsschau. Auf Ihrer Homepage kann man lesen von einer Akademie der Vielfalt. Das ist in Planung… was wird das werden?
NP: Die Akademie der Vielfalt ist ein Projekt, das ich letztes Jahr mit einer Kollegin gegründet hab, weil wir bemerkt haben, dass in allen Aus- und Weiterbildungsbereichen das Thema LGBTI – also Gay Lesbian Bi Transgender Intersex – also die sg. Regenbogen-Community, wenn man sie so bezeichnen möchte, dass die in sämtlichen Bildungskontexten völlig unterrepräsentiert ist. Es gibt kein einziges Institut, das zu diesem Thema Aus- und Weiterbildungen anbietet. Es gibt Themen wie inklusive Pädagogik, integrative Pädagogik, Genderpädagogik, Geragogik… wir leben in der lebenslang lernenden Gesellschaft, das selbstoptimierende Individuum etc. also, es gibt eigentlich nichts zu dem es nichts gibt, nur zu dem Thema gibt’s gar nichts. Und wir haben den Versuch gemacht, österreichweite Aus- und Weiterbildungsangebote zu sammeln, zu dokumentieren und in einem Katalog zu veröffentlichen. Im nächsten Schritt wird das Ganze dann überführt in eine Website, wo dann 365 Tage von Wien bis Vorarlberg jemand nachschauen kann, was gibt’s heute zum Thema LGBTI Aus- und Weiterbildung, und wollen auf diesem Weg versuchen, diese doch wirklich spürbare Tabuisierung des Themas beiseite zu räumen. Weil eine Theorie, die nach wie vor ganz großen Einfluss hat auf die Pädagogik, ist die Theorie der Verführbarkeit, d.h. es gibt nach wie vor die große pädagogische Angst, dass homosexuelle Menschen z.B. von einer Person, die Einfluss nimmt aus sie, zur Homosexualität verführt werden, und deshalb sei das so gut wie möglich zu unterbinden, und am besten gar keine Informationen darüber geben, weil die könnten ja womöglich dann… Also die sg. Moralapostel nennen ja das quasi, die „Homo-Lobby“ verschwult unsere Kinder. In Wirklichkeit würde man unglaublich vielen Kindern und Jugendlichen ganz großes seelisches Leid ersparen, indem man ihnen nebst der allgegenwärtigen Heterosexualität auch andere Formen der sexuellen Orientierung oder sexuellen Identität zur Verfügung stellt. Es wäre eigentlich ganz einfach, aber so einfach ist die Welt leider nicht.
TS: Dann sage ich danke für’s kommen und alles Gute!
NP: Danke!
Quelle: Sendung ohne Barrieren
AutorIn: Sendung ohne Barrieren
Zuletzt aktualisiert am: 06.11.2015
Artikel-Kategorie(n): Media Tipp, News
Permalink: [Kurzlink]