Wie mir am Bahnhof wieder einmal klar wurde, dass Behindertsein immer wieder kämpfen bedeutet, kämpfen darum, ganz einfach normal behandelt zu werden. Eine Story von Thomas Stix.
Ich war in Attnang-Puchheim und wollte nach Linz. Mit dem Zug. Eine einfache Sache, mag man denken. Es ist auch einfach, wenn man sich an die Regeln hält, die für Rollstuhlfahrende vorschreiben, dass diese eine Fahrt mit den ÖBB drei Tage vorher bei der zuständigen Servicestelle anmelden. Nun – Asche auf mein Haupt – ich hatte diese Voranmeldung nicht gemacht, dieses eine Mal nicht, und ich bin mit positiver Einstellung und einer Portion Naivität zum Attnanger Bahnhof gerollt.
Der Schalterfrau hab ich nun mit Hilfe meines Assistenten erklärt, dass ich nach Linz möchte. Die Schalterfrau fragt, ob ich denn die Fahrt vorangemeldet hätte. Ich verneine, und bevor ich dazu komme, etwas zu sagen, beauskunftet sie mich mit der Information, dass eine ÖBB-Fahrt mit dem Rollstuhl drei Tage zuvor bei der zuständigen Servicestelle Telefonnummer 051717 anzumelden sei, und sie schiebt einen Zettel mit dieser Nummer durch das Schalterfenster. Ich erkläre, dass mir das bewusst sei, das hätte ich schon des öfteren und auch erfolgreich gemacht, nur eben heute leider nicht, und ob sich da was machen lässt. Die Schalterfrau erklärt mir abermals, dass eine ÖBB-Fahrt mit dem Rollstuhl drei Tage zuvor bei der zuständigen Servicestelle Telefonnummer 051717 anzumelden sei, worauf ich sage, dass dies jetzt eben nicht mehr möglich sei! Ich schlug ihr vor, sie solle den Security anrufen, der könne mir doch mit dem Hebelift in den nächsten Zug hineinhelfen. Widerwillig ruft sie an (jedoch das Festnetz, wie sich später herausstellte), und da hebt keiner ab. Sie erklärt mir, dass das nicht geht und sagt nocheinmal das mit der Voranmeldung. Ich werde ungehalten und frage sie, ob es denn nicht irgendeine Möglichkeit gäbe, ich könne auch etwas warten, nur wäre es wichtig, dass ich heute nachmittag noch nach Linz käme. Sie sagt wieder, dass das nur mit Voranmeldung geht.
Es hat mir dann gereicht und ich bin rauf zu den Bahnsteigen. Da treffen wir einen weitschichtig bekannten Schaffner, der gerade auf die Abfahrt seines Zuges am Bahnsteig wartet. Wir erzählen ihm die Sache, und er ist ein wenig verwundert, holt sein Handy raus und telefoniert mit dem Security (er ruft die Mobilnummer des Security-Mitarbeiters an!), dieser sagt ihm, dass er in etwa einer Stunde wieder am Bahnhof sei, und ich dann ich den nächsten Intercity reingehoben werden könnte. Außerdem, so der Schaffner, würde in der nächsten halben Stunde ein Regionalzug – und zwar ein barrierefreier TALENT – nach Linz abfahren.
So war das also. Ein nicht zuständiger ÖBB-Mitarbeiter, der sich einfach ein bissl bemüht hat, hat mir innerhalb von 5 Minuten zwei Möglichkeiten eröffnet, wie ich meinem Wunsch gemäß von Attnang nach Linz kommen konnte. Ich enschied mich schließlich für den Regionalzug und es hat wunderbar geklappt.
Was ist jetzt die Konklusio dieser Geschichte? Es ist etwas, das ich im Zusammenhang mit meiner Behinderung immer wieder erlebt habe: das Faktum, dass ich als Behinderter um Dinge, die für die meisten Menschen selbstverständlich sind, kämpfen muss, ringen, um sie zu bekommen. Und es ist der Glücksfall, dass ich – durch meine Biographie so geworden – in einer Lage bin, dass mir ein Kämpfen möglich ist, ich habe Ressurcen und Kapazitäten, die mir das Hartnäckigbleiben ermöglichen.
Meistens jedenfalls. Manchmal geb ich auch auf und lass es sein, weil es zu mühsam ist. Und es ärgert mich, dass es so ist.
[08.09.2011 – Anmerkung]
Ich habe viele Reaktionen auf diesen Artikel bekommen. Danke an alle kämpferischen behinderten Frauen und Männer und die nichtbehinderten, die mit uns solidarisch sind!
Eine Klärung zum Thema ÖBB: Es ist schon seit längerer Zeit so, dass eine Voranmeldung nicht mehr drei Tage vor der Reise erfolgen muss. Es genügen im Inland 24 Stunden. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ob die Schalterfrau tatsächlich „drei Tage“ gesagt hat; dies ist nur in meinem subjektiven Gedankenbrei so drinnen. Es geht aber bei diesem Text eh nicht primär um eine Kritik an den ÖBB, sondern um den Umstand, wie lebenswichtig das Kämpfen für behinderte Menschen ist. Mit den ÖBB habe ich selbst sehr viele angenehme Reisen erlebt und überwiegend positive Erfahrungen gemacht.
AutorIn: Thomas Stix
Zuletzt aktualisiert am: 04.06.2015
Artikel-Kategorie(n): Kommentare, News
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